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Universitätschor in der Johanniskirche

Für einen Moment „Der Welt abhanden“

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von Ilka Grimm, erschienen am 07. Februar 2024
Der Göttinger Universitätschor, Johann Clemens, Gregor Meyer, Martina Müller, Helene Gödde und Walter Zoller in der Johanniskirche | © Photo: Grimm

Ebenso wie das Abschlusskonzert des Universitätsorchesters am vergangenen Wochenende in der Aula der Universität, erfreute sich das Semesterabschlusskonzert des Chores, welches nun am 3. und 4. Februar stattfand, großer Beliebtheit. Die Stuhlreihen der St. Johanniskirche füllten sich schnell und kaum ein Platz blieb frei. Getreu dem Motto des Abends, „der Welt abhanden“, konnte man sich für die zwei Stunden des Konzerts zurücklehnen und sich durch die Gefühlswelten der 2. Sinfonie und den Liedern von Mahler mitnehmen lassen. Im Mittelpunkt stand Gustav Mahlers 2. Sinfonie in einer Fassung für zwei Klaviere, Trompete, Solist:innen und Chor. Zusätzlich wurden die ursprünglich für eine Singstimme mit Klavierbegleitung komponierten Lieder von Alma Mahler-Werfel und Gustav Mahler in der 10-16-stimmigen a-cappella-Version vom 1925 geborenen Komponisten Clytus Gottwald aufgeführt.

Die Entstehung der 2. Sinfonie in c-Moll, die ursprünglich für ein Orchester von geradezu monumentaler Größe konzipiert war, erstreckte sich über mehrere Jahre, nämlich von 1888-1894. Eine ungewöhnlich lange Schaffenszeit für Mahler, die jedoch auf berufliche und familiäre Zwischenfälle und Verpflichtungen zurückzuführen ist. Eine Fassung für Klavier zu vier Händen entstand zunächst Anfang des 20. Jahrhunderts durch Bruno Walter. Aus dieser Fassung Walters machten Leipziger Musiker Gregor Meyer und Walter Zoller ihre Fassung für zwei Klaviere sowie ein Flügelhorn und nahmen die beiden von Mahler vorgesehenen Singstimmen wieder auf. 

Neben den Klängen des etwa 100 Mitglieder starken Universitätschors unter musikalischer Leitung von Antonius Adamske erklangen an diesem Abend die Stimmen von Henriette Gödde (Alt) sowie die von Martina Müller (Sopran), die die erkrankte Annika Steinbach vertrat. Am Klavier waren Gregor Meyer und Walter Zoller, an der Trompete Johann Clemens zu hören und zu sehen. 

Nach kurzen einführenden Worten von Antonius Adamske zum Programm des Abends und einem kurzen lichttechnischen Problem, was jedoch durch Adamskes angebrachtes Goethe-Zitat „Mehr Licht bitte“, eher für einen Lacher als Empörung sorgte, startete der Kammerchor des Universitätschores mit dem ersten Lied »Die stille Stadt«. Hierbei handelt es sich um ein neu gegründetes Ensemble, das aus besonders leistungsstarken Stimmen besteht und zusätzliche Zeit für eine weitere Probe pro Woche aufgebracht hat. Dieses erste Lied ist Teil einer Mappe von Almas Kompositionen, die Gustav erst ein Jahr vor seinem Tod fand und zuvor nie zu Gehör bekommen hatte. Wahrscheinlich wäre Alma dem Universitätschor sehr dankbar, dass sie ihre Lieder präsentieren, denn das Rampenlicht war nichts für sie. Als 19-Jährige schrieb sie in ihr Tagebuch: „Frau Adele hielt mir einen langen Vortrag, dass ich morgen spielen soll.“ Drei dieser Lieder wurden an diesem Abend den Besucher:innen präsentiert. Auf »Die stille Stadt« folgte das dritte Lied dieser Kompositionen, »Laue Sommernacht« und darauf das fünfte »Bei dir ist es traut«.

Die Titel dieser Lieder mögen in die Irre führen. Diese Vertonungen der Gedichte von Rainer Maria Rilke, Otto Julius Bierbaum und Richard Dehmel sind komplex, tiefgehend, emotional facettenreich und bieten ein Wechselspiel von Ruhe und Aufwühlung, Tag und Nacht, Liebe und Hass. Die Darbietung des Universitätschores in der Transkription von Clytus Gottwald untermalt dieses Wechselspiel und schafft einige Gänsehautmomente. Es lässt sich der Zustand des Außer-sich-Seins, wie ihn die Biografin Alma Mahler-Werfels, Susanne Rode Breymann beschreibt, sehr gut nachempfinden. Sei es durch die Darbietung der Chöre, wie auch durch das lebhafte „Gespräch“ der zwei Pianisten Zoller und Meyer in der Sinfonie. Doch es war nicht nur ein Gespräch der beiden Klaviere, sondern auch ein Gespräch von Sinfonie und den Liedern. Denn hier findet sich eine Besonderheit dieser Aufführung. Die Einzigartigkeit dieser Stückzusammenstellung resultiert aus der Tatsache, dass die beiden Lieder von Gustav Mahler »Abendrot« und »Ich bin der Welt abhanden gekommen« in die Aufführung der Sinfonie eingewoben wurden und nahtlos zwischen den Sätzen erklangen. So ergab sich ein vollkommen neuer Zusammenhang der Werke.

Die Einzigartigkeit dieses Abends wurde durch diese einmalige Art der Aufführung auch durch das besondere musikalische Können der beiden Pianisten gestützt. Es fühlt sich an wie ein Miteinander und ein Gegeneinander und wirkt wie ein intensives Gespräch zweier Instrumente, die ebenfalls diesen emotionalen Zustand widerspiegeln. Man sieht die Köpfe der Besucher:innen von links nach rechts schwenken, wie sie dieses Gespräch aufmerksam und mitgenommen verfolgen. Die Emotionalität und Facettenvielfalt waren nicht nur in der Musik selbst zu finden, sondern auch in den Pianisten, die es in bemerkenswerter Weise schafften, diese durch ihre Mimik und Bewegungen nach außen und auf die Zuhörer:innen zu übertragen. In dieser vierhändigen Klavierversion der sogenannten Auferstehungs-Sinfonie kommt durch die beiden Pianisten die Radikalität des Stücks besonders hervor. Die Klangfarben, die hier erzeugt wurden, wie auch die technische Brillanz der Pianisten sind hervorzuheben. Es ließ die Zuhörer:innen gar vergessen, dass dieses Stück ursprünglich für ein großes Orchester gedacht war. 

Suchende Blicke über die Schulter waren plötzlich im Publikum zu sehen, als hinter den Reihen eine Stimme mit den Worten „O Röschen rot“ ertönt. Begleitet von den Blicken der Besucher:innen kommt die Altistin Henriette Gödde, Gewinnerin des 17. Internationalen Robert-Schumann-Wettbewerbs, nach vorne, um ihren Part des „Urlichts“ im vierten Satz zu singen. Dieses „Urlicht“ basiert ebenfalls auf dem Gedicht der Sammlung „Des Knaben Wunderhorn“ von Clemens Brentano und Achim von Arnim. Gustav Mahler hat hier erstmals die menschliche Stimme in sein sinfonisches Schaffen integriert wird. Das Ringen der eigenen sowie göttlicher Existenz dieses Satzes wird durch die eindrucksvolle Stimme Göddes schlicht und sehr feierlich dargeboten. Nicht nur die bedeutsamen Verse „Der Mensch liegt in größter Not, der Mensch liegt in größter Pein“, sondern der gesamte Satz leiten somit die Sinfoniekantate ein. 

Diese wurde bereichert durch den Auftritt der Sopranistin Martina Müller. Neben ihren solistischen Tätigkeiten ist sie ebenfalls Mitbegründerin des »Trio Ancora li« und widmet sich unter anderem dem Projekt »Große Unbekannte – Komponistinnen des Barock«, welches passend zum Abend selten bis nie gehörte Kompositionen von Frauen eine Bühne gibt.

Im fünften Satz der Sinfonie, dem Finale des Stücks waren nun Chor und Soli vereint, auch das Flügelhorn, zunächst aus der Sakristei der Kirche gespielt von Johann Clemens, bereicherte die Musik mit einer weiteren Klangfarbe. Es ließen sich einige Besucher:innen beobachten, die mit geschlossenen Augen diesem Satz lauschen, um das volle Klangerlebnis mitzunehmen. Und das war es wirklich ein Klangerlebnis, das wohl alle Besucher:innen mitgerissen hat. Auch in diesem kommt die besondere Leistung der Chöre noch einmal zum Vorschein. Sowohl der Kammerchor der Universität wie auch der Universitätschor legten unter anderem durch ihr Piano oder gar Pianissimo, aber auch durch ihr kraftvolles Forte am Ende eine bemerkenswerte dynamische Bandbreite an den Tag. Beeindruckend war ebenfalls die Herausforderung der extremen Tonlagen, die Mahler sowohl in den Liedern als auch in der Sinfonie einfordert. Auch hier bewiesen die Chöre ihr Können, als die ganz hohen Soprane scheinbar mit Leichtigkeit über der Musik zu schweben schienen oder das sogenannte tiefe „Kontra B“ der vierten Bässe deutlich zu vernehmen war. 

Als das Finale, zunächst wild herausfahrend, anschließend wieder etwas zurückhaltend und am Ende langsam, aber dennoch gewaltig und eindrucksvoll zum Ende kam, versetzte es alle Zuhörer:innen ins Staunen und holte sie letztendlich von ihren Stühlen. Es folgte ein langanhaltender Applaus, der die Begeisterung und Würdigung dieses Könnens zum Ausdruck brachte. Zwei Stunden, in denen es ermöglicht wurde, der Welt ein bisschen abhandenzukommen und vor allem der komplexen Emotionalität und der Schaffenskraft der Mahlers und eben auch besonders Alma Mahler-Werfels die Aufmerksamkeit und Würdigung zu geben, die sie damals hätte bekommen sollen. Ihr Schaffen wurde als Frau nie hinreichend ernst genommen, oder gar gefördert, weshalb sie wahrscheinlich damals nie die Schwelle zur Professionalisierung übertrat. Umso wichtiger und schöner ist es, dass der Universitätschor und die Solis uns diese Werke dar- und nähergebracht haben und damit einen wunderbaren und eindrucksvollen Abschluss des Semesters geleistet haben. 

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Ilka Grimm

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