Die Notenblätter nehmen noch einen kleinen Umweg zum Klavier. Dort gönnt Steffen Ramswig der Melodie ein einladendes Intro, das jetzt auch Fabienne Elisabeth Baumann und Michael Johannes Mayer für das gemeinsame Credo auf die JT-Bühne lockt.
„Ich singe, weil ich ein Lied hab“. Ein Song von Konstantin Wecker stiftete das Leitmotiv für diesen Liederabend in der Inszenierung von Tobias Sosinka, bei dem es nicht nur viel zu singen, sondern auch zu sagen gibt, es schwingen Gedanken und Gefühle, Bekenntnisse und Zweifel in den musikalischen und poetischen Motiven mit.
Ungewöhnlich ist zunächst die Kombination von Songs und Chansons, Arien, launigen Liedern und traditionellen Motiven, mit denen das musikalische JT-Trio sein Publikum immer wieder überrascht und zum Staunen verführt. Wann trifft das Beziehungsfiasko, wie es das Austro-Pop-Duo Christoph Seiler/Bernhard Speer mit „Ham Kumst“ bekundet, schon mal auf die Beziehungsödnis in Charles Aznavours berühmtem Chanson „Du lässt Dich gehen“. Danger Dans subtile Kampfansage „Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt“ erklang vermutlich auch noch nie an einem Liederabend mit Brechts „Surabaya Jonny“ und dem dramatischen Aufruhr in Harmonien und Dissonanzen in Kurt Weills Tondichtung.
Natürlich zeichnen sich immer wieder thematische Gemeinsamkeiten ab, wenn die klassischen Sehnsuchtsseufzer mit Herz und Schmerz und Spott besungen werden, der politische Alltag einen kritischen Kick bekommt und tragische Verse eine Abschiedsstimmung bestärken. Umso mehr faszinieren sie jetzt in diesem musikalisch szenischen Panorama, das sich wie eine Zeitreise durch mehrere Jahrhunderte entfaltet, um die verschiedensten Klang- und Gedankenbilder miteinander zu verweben.
Bühnenbildnerin Hanna Landes hat den Liederabendraum mit Stehlampen, einem Plüschsessel und einem Paravent ausgestattet und so eine intime Atmosphäre für musikalische und szenische Nahaufnahmen geschaffen. Hintersinnige Anmerkungen, freche und nachdenkliche Wortwechsel gehören zum guten Ton, wenn sich Fabienne Elisabeth Baumann und Michael Johannes Mayer zunächst den vergeblichen Happy-End-Visionen widmen. Sie lassen sich dabei auch gern von Heinrich Heine und Else Lasker-Schüler beflügeln und rezitieren mit den Dichterstimmen von Friedrich Hölderlin, Wladimir Majakowski und Carlos Martinez Riva, um in den Liedern auch ihre poetischen Horizonte zu erkunden.
Es kommt immer wieder zu magischen Momenten bei diesem Liederabend. Zunächst mit Michael Johannes Mayer und Franz Schuberts musikpoetischer Vision „Auf dem „Flusse“ aus seinem Liederzyklus „Die Winterreise“. Dann verzaubert Fabienne Elisabeth Baumann mit einer Arie aus Mozarts Oper „Die Hochzeit des Figaro“ das Publikum ebenso unmittelbar.
Das stimmstarke Schauspielteam holt im zweiten Teil des Liederabends mit Steffen Ramswig am Klavier und seinen Arrangements noch einmal kräftig Schwung und das auch schön frech. „Pisse“ heißt es ganz lakonisch, weil das Frauen-Duo „Schnipo Schranke“ das nächtliche Liebesgelage lieber unsanft erden möchte Dann wird die Kunstfreit ironisch aufgefrischt und Konstantin Wecker ist wieder aufmunternd zur Stelle: „Wer nicht genießt ist ungenießbar“. Auch Jury Soyfers „Lied des einfachen Menschen“ mit seiner nachdenklichen Bilanz über ein befremdendes, gestörtes Miteinander gehört zu den magischen Momenten des Abends, wie es tief berührt. Das vermag auch das „Abendlied“ von Matthias Claudius, dem Steffen Ramsig mit seinem Arrangement für drei Stimmen eine traumschöne musikalische Andacht widmete.
Mit Weckers hymnischer Ansage für Emphathie, Solidarität und Lebensfreude „Questa Nuova Realta“ wird das musikalische Finale begeistert gefeiert, bei dem natürlich eine Zugabe nicht fehlen darf. „Ich singe, weil ich ein Lied hab“ gilt auch für das Publikum, das für das „Liebeslied im alten Stil“ den Refrain mitsingt und mitfeiert.
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