Volles Haus beim Göttinger Symphonieorchester in der Stadthalle – das Familienkonzert „Emil und die Detektive“ am Sonntag, dem 20. Oktober 2024 war ausverkauft. Zu Recht, denn sowohl Lesung als auch Musik zogen sogar die Jüngsten in ihren Bann.
Die musikalische Lesung des Kinderbuchklassikers gab es zu Erich Kästners 125 jährigem Geburtstag in Kooperation mit dem 33. Göttinger Literaturherbst. Die Lesung übernahm Schauspieler Richy Müller, bekannt als Stuttgarter Tatort-Kommissar Thorsten Lannert. Als Dirigent wurde Jason Weaver gewonnen, der schon 2018 und 2022 die Nacht der Filmmusik mit dem GSO leitete.
Für das Familienkonzert hat Gesa Husemann vom Literarischen Zentrum Göttingen aus Erich Kästners fast 100 Jahre altem Werk eine gekürzte Textfassung erstellt, die den Originaltext aber beibehält. Mit viel Gespür und Sorgfalt hat Husemann Nebenhandlungen kunstvoll ausgeklammert, sodass der rote Faden erhalten bleibt und alle Emils Abenteuer nachvollziehen konnten. Applaus bekam sie für das bewusste Nicht-Gendern, auf das Richy Müller nach dem Konzert hinwies mit dem Kommentar, dass dies für Originaltexte auch heute noch in Ordnung sei und bewusst ausgehalten werden sollte.
Richy Müller gestaltete die Lesung hochkonzentriert in zügigem Tempo mit deutlicher Artikulation. Er verzichtete weitgehend auf Publikumskontakt und szenische Elemente. Mit dieser Gestaltung der Lesung schuf er eine ganz eigene Faszination, die sich nicht auf ihn als Leser konzentrierte, sondern auf die Geschichte und Kästners Sinn für Humor. Und dies wirkte sich überaus positiv auf das Publikum aus: Alle hörten gespannt und konzentriert zu, um der Geschichte zu folgen. Die bei Familienkonzerten sonst üblichen Nebengeräusche blieben dadurch aus und selbst die Jüngsten lauschten bis zum Ende der Geschichte von Emil.
Jason Weavers kongeniale Auswahl der musikalischen Stücke unterstrich nicht nur den Verlauf der Geschichte, sondern gab ihr eine zusätzliche Dramatik, die passender nicht hätte sein können. Den Beginn von Emils Reise begleitete der „Foxtrott auf dem Achterdeck“ von Ernst Fischers (1900–1975) Danzorama, der Emils Schritte zum Bahnhof zum Klingen brachte. Zwei weitere Sätze aus dem Danzorama, „Billy’s Boogie-Woogie“ und „Rumba melodica“ unterstrichen das emsig-wirre Kindertreiben von Emils Detektiven in Berlin ebenso wie Kästners Humor – und das GSO bewies mit viel Swing, dass es auch Big Band kann. Jason Weaver ließ das GSO grooven und schwang mit der Hüfte mit, gab dezente Impulse und akkurate Einsätze, wo nötig. Den Taktstock ließ Weaver hier wie bei Henry Mancinis (1924–1994) „Pink Panther“ bewusst weg – und beklatschte anschließend das GSO für diese hervorragende Performance. Die „Halle des Bergkönigs“ von Edvard Grieg (1843–1907) mit ihrem Accelerando verdeutlichte perfekt für den Ausstieg aus dem Zug und die beginnende und schneller werdende Verfolgung des Diebes in Berlin. Tschaikowskys (1840–1893) „None but the lonely heart“ unterstrich in seiner Melancholie die Stimmung des kleinen Emils ganz alleine in einer unbekannten Großstadt. Mit diesem und dem nächsten Stück, „Die verkaufte Braut“ von Smetana Bedrich (1824–1884) zeigte das GSO seine Virtuosität auf höchstem Niveau. Die temporeichen Läufe der Streicher erklangen akkurat zusammen und versetzten das lautlos atmende Publikum in Staunen. Doch das GSO kann nicht nur Bigband und Klassik, es kann auch Hörspiel: Zuggeräusche, Hupe, Fahrradklingel und sogar eine schallende Ohrfeige zierten die Lesung von Richy Müller und sorgten neben der kongenialen Stückauswahl zu einem großartigen Zusammenwirken von Text und Musik.
Der nicht enden wollende Applaus zwang Weaver zu einer Zugabe. Nachdem sich auch Richy Müller beim GSO für die großartige Musik bedankt hatte, ließ Weaver zur Freude aller „Billy’s Boogie-Woogie“ noch einmal spielen – mit einem tanzenden und begeistert klatschendem Publikum.