In der Produktion »All das Schöne« gelingt der Spagat zwischen der ernsthaften und niveauvollen Auseinandersetzung mit dem Thema Depression und einem humorvollen Abend. Lukas Prießnitz besuchte die Premiere am 26. November 2022.
Rebecca Klingenberg steht an der Wand des Saals. Eine Vielzahl an Glühbirnen hängt von der Decke. Auf der rechten Seite des Raumes stehen mehrere Stühle und eine Kiste mit Papier. Ansonsten nichts, Leere. Sie tritt von der Wand weg hin in die Mitte vor das Publikum. „Hallo, Hi, Hey“. Mit diesen Worten begrüßt Klingenberg das Publikum. Sie beginnt von der Liste über Dinge zu sprechen, die schön sind. „1.“, einer der Zuschauer antwortet „Eiscreme“. „2.“, „Wasserschlacht“, „3.“, „Länger aufbleiben dürfen als sonst und Fernsehen“. Die Glühbirnen über ihr sind aus. „Licht an“ sagt sie und klatscht einmal in die Hand, „Licht aus“ und klatscht erneut.
Im Deutschen Theater Göttingen wird die Premiere von »All das Schöne« aufgeführt. Autoren des Theaterstücks sind Duncan Macmillan und Jonny Donahoe, Regie führt Moritz Franz Beichl. Thema des Stückes ist Depression und die Frage nach dem Lebenswerten im Leben. Was sind die schönen Dinge in der eigenen Welt und was macht Freude? Dieser Frage geht Rebecca Klingenberg in diesem Stück nach. Der Abend besteht aus einer Mischung von Monologen der Darstellerin und heiteren Zusammenspielen zwischen ihr und den Zuschauer:innen. Für die gemeinsame Interaktion mit dem Publikum wurde diesem jeweils ein Punkt der Liste ausgeteilt. Wer will, kann den Punkt der Zusammenstellung reinrufen.
Infolge eines Suizidversuches liegt ihre Mutter im Krankenhaus. Ihre Tochter möchte aufgrund dessen mittels einer Liste schöner Dinge der Mutter Mut machen und Trost spenden. Zwar erhält ihre Mutter die Liste, da sie diese auf Rechtschreibfehler hin korrigiert hat, allerdings erfüllt die Sammlung nicht ihren Zweck. „26.“ „In das Meer pinkeln und keiner merkts.“, antwortet ein Zuschauer. Rebecca Klingberg antwortet darauf schmunzelnd: „So so“, auch das Publikum muss schmunzeln. Rückblickend erkennt sie, dass die Liste natürlich nicht helfen konnte, jedoch konnte sich ein kleines Kind nicht anders Helfen. Im Laufe Ihres Lebens vergisst sie die Liste, sie verschwindet. Als das nun erwachsene Mädchen an der Universität ist, begegnet ihr auch hier Depression und Suizid – Goethes »Die Leiden des jungen Werther«. Allerdings geschehen auch schöne Dinge. Sie lernt den Kommilitonen Uli kennen. Gemeinsam lesen sie Bücher und empfehlen sich gegenseitig lesenswerte Texte. Eines Tages bekommt sie mit den Worten „Interessantes Buch, du solltest es lesen“ ein Buch von Uli wieder zurück. Sie wundert sich, da er es von ihr bekommen hat, also öffnet sie das es und findet darin ihre Liste. Die Junge Frau überfliegt die Liste und entdeckt eine fremde Handschrift. Uli muss wohl die Liste der schönen Dinge erweitert haben. „1000.“ Wenn Dir jemand Bücher ausleiht.“ „1005.“ „Über sich schreiben, ohne das Wort ich zu verwenden.“ Daraufhin beginnt auch sie wieder schöne Dinge aufzuschreiben. Es ist schon lange keine Aufmunterung mehr für ihre Mutter, sondern ein Weg der eigenen Aufmunterung. „1854. Liebeserklärung machen.“ „2000“ „Kaffee.“ Uli und sie kommen zusammen, doch auch in dieser Phase ihres Lebens spielt Depression eine Rolle. Sie soll in den Augen von Uli eine Therapie machen und dort über ihre Probleme sprechen. Völlig verständnislos, denn sie weiß doch was Depression ist, verlässt sie ihren Freund. Nachdem sie zu einer Selbsthilfegruppe gegangen war, verstirbt ihre Mutter in Folge eines Suizids. „1Mio.“ „Eine Platte das erste Mal anhören …“
Rebecca Klingenberg und das gesamte Team des DT vollbringen in der Vorführung den Spagat zwischen der ernsthaften und niveauvollen Auseinandersetzung mit einer Krankheit, die viele Jahre ein Tabu in der Gesellschaft war, und einem humorvollen Abend. Im Mittelpunkt steht nicht ausschließlich die Krankheit und die betroffene Person, sondern die Angehörigen und die Auswirkungen auf die Familie. Klingenberg gelingt es, das Publikum in ihr Stück einzubeziehen und sie zu einem Teil der Darbietung zu machen. Ferner ist das Zusammenspiel zwischen der Darstellerin Rebecca Klingenberg und den Zuschauer:innen harmonisch und fühlt sich wie abgestimmt an. Klingenberg zeigt in ihrer Darbietung ihren Facettenreichtum und bindet auch unerwartete Momente, wie das Klingeln eines Handys, ein. Die Akteurin nimmt das Publikum glaubhaft in die Gefühlswelt eines kleinen Mädchens mit, über die Höhen und Tiefen in der Universität, bis hin zu ihrer Talfahrt nach einer gescheiterten Ehe. Die Inszenierung bietet einen Blick auf Depression und hinterfragt den Umgang mit der Krankheit. Die Zuschauer:innen sind von der Darbietung Rebecca Klingenbergs und dem Mut, über ein solches Thema ein Stück zu verfassen, begeistert und beklatschen mitgerissen die Darstellerin und das Team des DT.