Nach allen Requien zum Ende des Kirchenjahres, Weihnachtsoratorien in der Adventszeit und Neujahrskonzerten findet sich das Göttinger Konzertleben Anfang Januar immer in einem gewissen Vakuum, in dem das Vergangene verarbeitet und sich auf Anstehendes vorbereitet wird. Dass das geneigte Publikum trotzdem musikalische Angebote dankbar annimmt, zeigte sich am 8. Januar im überaus gut besuchten Konzert des Ensembles GlossArte und dem Göttinger Barockerchester in der Marienkirche.
GlossArte, das sind der Posaunist Juan González Martínez und die Cembalistin und Organistin Lea Suter, die sich als Ziel gesetzt haben, Musik für ihre gemeinsame Besetzung auf Originalinstrumenten zu Gehör zu bringen. Damit harmonieren sie perfekt mit dem Göttinger Barockorchester, im Konzert vertreten durch Henning Vater und Julia Krikkay, Violinen, Gregor Debuclet, Viola, Johanne Rasch, Violoncello und Frauke Hess, Violone.
Das Konzert begann direkt mit einer spannenden Entdeckung: der Ouverture Nr. 2 in G-Dur für Streicher des hauptsächlich in Eisenach wirkenden Johann Bernhard Bach, ein Cousin zweiten Grades von Johann Sebastian Bach. Ouverturensuiten sind vielleicht die wichtigste Gattung der Instrumentalmusik des Barock, findet man doch unzählige Kompositionen dieser meist recht schematisch organisierten Zusammenstellungen von Tanzsätzen für sämtliche Instrumente, sei es solistisch oder im Ensemble. Die Herausforderung für den Komponisten war dabei stets im engen Rahmen dieser Form beziehungsweise der Einzelformen der Sätze kreativ zu werden. Dies ist Johann Bernhard Bach definitiv gelungen. Die acht abwechslungsreichen Sätze reichen dabei von der festlichen Ouvertüre über das spritzige Bourée und die liebliche und berührende Air bis zum rauschenden Abschluss mit dem passenden Ttitel „La Tempeste“ - der Sturm. Dass diese Musik die Zuhörer erreichte, war aber nicht nur das Verdienst des Komponisten, sondern auch des Göttinger Barockorchester, dessen Spielfreude unmittelbar übersprang.
Unterbrochen wurden die acht Suitensätze durch das Konzert für Cembalo und Streicher in e-Moll, Wq. 15, von Carl Philipp Emanuel Bach. Völlig befreit von der barocken Formenstrenge entspinnen sich in den drei Sätzen musikalische Dialoge, mal aufbrausend argumentierend, mal empfindsam mitfühlend, aber immer überraschend und interessant. Hier hatte dann auch der heimliche Star des Abends für den cembalophilen Verfasser seinen großen Auftritt: Ein Cembalo, das 2021 durch den Berliner Cembalobauer Matthias Kramer nach historischen Vorbildern aus Hamburg gebaut wurde. Das Instrument zeichnet sich nicht nur durch das Vorhandensein eines 16'-Registers, also der Klangfarbe eine Oktave unter der normalen Tonlage, aus, sondern vor allem auch durch seinen warmen und tragfähigen Klang, der nie vom Orchester überdeckt, aber auch nie aufdringlich spitz wird. Auch die ausgesprochen ansprechende Optik des aus Nussbaumholz gearbeiteten und mit reichhaltigen Intarsien verzierten Instruments weckte beim Verfasser große Begeisterung.
Doch ein Instrument mag noch so schön anzusehen sein, es braucht vor allem eine Künstlerin, die seine klanglichen Qualitäten zu nutzen weiß.Lea Suter hatte diese Aufgabe und begeisterte dabei nicht weniger, als ihr Instrument. Dabei war es nicht nur ihr einfühlsames Spiel, sondern auch der kreative und gekonnte Umgang mit den verschiedenen Klangfarben. So wurde der zweite Satz des Konzertes durch die Verwendung des 16'-Registers in Kombination mit dem abdämpfenden Lautenzug als Soloregistrierung zu einem besonders gelungen und außergewöhnlichen klanglichen Erlebnis.
Das zweite Solokonzert des Abends stand dem ersten in seiner Außergewöhnlichkeit nicht nach. Das Konzert in B für Altposaune und Streicher von Johann Georg Albrechtsberger entstand 1769 im Umfeld der Salzburger erzbischöflichen Hofkapelle und zeichnet sich durch typische frühklassische Spielfreude und Motivik, aber auch berührende Melodien und Themen aus. Letztere boten Juan González Martínez die ausgezeichnete Möglichkeit den warmen und sehr mischungsfähigen Klang der barocken Altposaune zu präsentieren. Seine Virtuosität und vor allem auch das tiefe Verständnis der Musik zeigten dagegen die wunderbar gestalteten Kadenzen. Auch in diesem Konzert agierten die Musiker*innen des Göttinger Barockorchesters nicht nur als kongeniale Begleiter, sondern sie schafften es mit dem Gastensemble zu einem homogenen Klangkörper zu verschmelzen und gleichzeitig eigene Akzente zu setzen.
So wurde dieses Konzert zu einem gelungenen Einstieg in das musikalische Jahr 2023, das hoffentlich noch mehr derartige Perlen der Barockmusik auch außerhalb der Händelfestspiele bringen wird.
Wenn Sie die inzwischen zahlreichen eigenverantwortlichen Aktivitäten des Göttinger Barockorchesters verfolgen möchten, um von anstehenden Konzerten zu erfahren, dann empfiehlt sich der Besuch auf der Homepage
(https://goettinger-barockorchester.de), wo sie den kostenlosen Newsletter abonnieren können. Auch der Verfasser dieser Rezension hat auf diesem Wege vom Konzert erfahren.