Der Literaturherbst fand im Januar 2023 seinen Abschluss. Während Christian Brückner am Sonntag zum Nachholtermin in Einbeck mit »Moby Dick« das Finale gestaltet, holten am Freitag im Literaturhaus Christian Lehner mit seinem Gedichtband »Opus 8« und Heinrich Detering den eigentlich im Oktober geplanten Termin nach.
Der studierte Theologe und früherer Pfarrer Christian Lehnert ist „einer der großen deutschen Lyriker“, wie der Literaturwissenschaftler Heinrich Detering zur Einführung den Gast begrüßte. Vor dem ersten gelesenen Abschnitt kündigte Detering „ein paar Gedichte aus diesem wundersamen Buch“ an.
Der Lyriker Lehnert begann ganz vorne im Buch – bei dem es eigentlich kaum möglich ist, einen Abschnitt herauszunehmen. Denn das Buch ist durchkomponiert von der ersten bis zur letzten Seite: eine Sammlung von 7 x7 Gedichten, von denen immer ein zweizeiliger Alexandriner auf der linken Buchseite steht und rechts ein Gedicht mit acht gereimten Versen.
In diesen Gedichten geht es um die Natur, wobei Heinrich Detering anmerkt, dass trotz dieses Themas der Begriff „Naturdichtung“ unangebracht sei. Und in der Tat ist das wohl zu knapp formuliert. Denn diese Gedicht-Komposition ist auch eine musikalische Komposition, Versmaß, Reime und die gewählten Worte ergeben ein „wundersames“ Klanggemälde. Das wird durch den Vortrag des Autors besonders deutlich.
Was akustisch bestenfalls zu ahnen ist, beschreibt Detering: es sind die Satzzeichen. Außer dem Punkt wird ausschließlich der Schrägstrich „/“ verwendet. Dies seien auch eine Art Atemzeichen, erläutert Lehnert. So ergibt sich beim Lesen ein „atmendes Sehen“, wie Lehnert es formuliert.
Und schon dieses Detail beschreibt gut, warum »Opus 8« tatsächlich ein „wundersames Buch“ ist: wenn man nur die gewählten Worte nimmt, handelt es sich um recht einfache Gedichte. Durch diese Satzzeichen, durch das Versmaß, durch die Wortkompositionen und weitere Details wird ein großes Werk daraus, das durch eine besondere Schönheit wirkt. Die Kraft von Lehnerts Sprache, von seiner Dichtkunst, ist eine besondere „Zauberkraft“, wie Detering es bezeichnet.
Wie viel Tiefe Lehnert in diese Komposition noch hineingedichtet hat, wird im Laufe des Abends klar: Detering und Lehnert decken nach und nach die Geheimnisse von »Opus 8« auf. Der gläubige Christ Lehnert hat die Mystik der jüdischen Kabbala aufgegriffen, einige Textstellen sind geradezu metaphysisch. Wenn Kolibakterien oder Sporen in seinen Gedichten auftauchen, passt der Begriff „Naturdichtung“ nicht mehr wirklich. „Es gibt zu wenig Gedichte über Kolibakterien“, meinte Detering dazu augenzwinkernd.
Zugleich ist aber auch immer wieder ein Augenzwinkern zwischen den Zeilen zu hören. Einige von Lehnert im dritten Abschnitt gelesenen Gedichte wirken humorvoll und könnten fast von Christian Morgenstern sein.
Dank der Fragen und Anmerkungen, der Entdeckungen und Entschlüsselungen von Heinrich Detering und Christian Lehnert wurden die zahlreichen Besucher:innen der Lesung neugierig, der Büchertisch wurde geradezu umlagert.
Christian Lehnert: opus 8 – Im Flechtwerk
117 Seiten, Suhrkamp Verlag
ISBN 978-3-518-43058-3
22 Euro (auch als eBook erhältlich)