„Der größte Zwerg“ am Jungen Theater
Wer mag schon einen Buckligen spielen, der auch noch verkrümmt ist und offenbar ein Winzling. Das Ensemble des Jungen Theaters kabbelt sich erst mal um die Besetzung. Und schon dabei steht ihnen Georg Christoph Lichtenberg wortreich zur Seite. Es ist eben nicht alles so wie es scheint, und wie so oft macht subversives Nachfragen die Sache zwar nicht besser. Aber es bringt die Dinge auf den treffenden zwiespältigen Punkt. Und dann ist eben eine Kostprobe aus seinen Sudelbüchern fällig.
Ist es nicht unglaublich, dass diesem mickrigen Bündel, das nur noch eine Nottaufe erhielt, trotz des offenbar mickrigen väterlichen Spermas zum Universalgelehrten avancierte. Buckeln lassen hat er sich jedenfalls nicht, und von niemand das Maul verbieten. Egal ob es um gelehrige Wichtigtuer und ihre Konventionen, den Göttinger Biedersinn oder andere strapaziöse Alltäglichkeiten, die dieser ewig umtriebige Geist eben auch in seinen Sudelbüchern vermerkte.
Ein Sudelstück hatte Autor und Regisseur Peter Schanz für sein dramatisches Lichtenberg Portrait im Jungen Theater angekündigt und keinesfalls eine manierliche Biografie. Und so kam das Publikum zur Uraufführung seiner Inszenierung „Der größte Zwerg“ in den Genuss eines frechen und turbulent verspielten Panoptikums. Bloß keine honorige Eloge lautete die Devise für diesen Abend über das reiche, bewegende und schmerzhafte Leben von GCL, um ganz in seinem Sinne mit ihm und über ihn spötteln und so sein Leben in all den tragischen und komischen Verwerfungen in ein wildes Bühnenabenteuer verwandeln.
Peter Christoph Scholz schultert als erster den Buckel, um sich nun auch den Spekulationen und Sprüchen von Zeitchronisten über Göttingens berühmten Wissenschaftler und ewigen Querdenker auszusetzen. Seine wenig schmeichelhaften Kommentare über die viel gerühmte Gelehrsamkeit an der Georgia Augusta fanden schließlich nicht nur Zustimmung. „Steht ein bucklig Männlein da“ spötteln nun Linda Elsner, Agnes Giese, Franziska Lather, Jan Reinartz und Karsten Zinser im Chor. Auch sie bekommen in den nachfolgenden biografischen Kapiteln abwechselnd den Buckel geschultert, um sich auf diesen verkrümmten Körper einzulassen, den Lichtenberg selbst als Gefängnis für die Seele beschrieben hatte, um diesem Zustand so oft wie möglich geistreich oder wenigstens lakonisch zu trotzen.
Mit dem Titel „Buckel“ hat Schanz auch jedes Kapitel über Einsichten und Ansichten zum Leben des größten Zwergs überschrieben. Die Buckel widmen sich zunächst den profanen Seiten des Göttinger Lebens, das unter anderem einer Wurst Expertise unterzogen wird. Der „Welt-Öffner“ und der „Experimentator“ Lichtenberg kommen zur Sprache. Seiner Neugier und was ihn und literarisch beflügelte widmet sich das Kapitel „Aphorisiaka“, der „Liebhaber“ wird erkundet und auch der ewig gepeinigte Mensch mit der „Krankheit zum Tode“.
Der Experimentalphysiker, der sich auch an der Erfindung des Blitzableiters vergnügte - „ Wissenschaft soll und muss Krach machen“ lässt sich natürlich nicht von dem trinkfesten Zeitgenossen trennen, der an einer genüsslichen Saufkunde laborierte, auch weil er befand, dass der Alkohol Ideen und Falten geschmeidiger mache. So wenig wie sich der Englandreisende, der dort am liebsten gelebt hätte und vergeblich von Weltforschungsreisen träumte, von dem amourösen Flaneur trennen lässt, dem zahlreiche Affären nachgesagt wurden und der der Liebe seines Lebens die zärtlichsten Worte widmete. All diese bewegenden und auch widerspenstigen Skizzen, Szenen und Kommentare erkundet das JT-Ensemble an einer Galerie von Tischen im Theatersaal.
Lichtenberg hätte es sicherlich gefallen, dass sein querköpfiges, ideenreiches Leben wie auf einem Laufsteg zelebriert wird. Und dass es in der Fülle von Episoden, Einfällen und ihrer spielerischen Umsetzung mit stilisierten historischen Requisiten meist ziemlich turbulent zugeht. Vor allem, wenn dann sechs Buckelträger mit Kommentaren von und über Lichtenberg ein Chaos aus Sprüchen, Argumenten und Zitaten anrichten, dabei auch mal wild kreischen, übereinander herziehen und spielerisch ausufern.
Die Posse, der Schalk und die Lust zu Übertreiben ist immer mit im Spiel an diesem Abend über Göttingens „größten Zwerg“. Aber nach all dem Spektakel kommt es auch zu dieser berührenden Szene mit Franziska Lather, die die Arie „Cara Sposa“ aus Händels Oper „Rinaldo“ singt, begleitet von Peter Christoph Scholz an der Violine. Der Lichtenberg, der die Londoner Uraufführung erlebt hatte, windet sich jetzt auf dem Tisch von Schmerzen gepeinigt und in entsetzlicher Atemnot. Aber was wäre ein Abend über diesen Experten für unheilbare menschliche Schwächen, wenn daraufhin nicht noch ein Abstecher in seinen Fundus an klugen und weitsichtigen Erkenntnissen folgte. Ein paar Aphorismen haben die sechs Buckligen noch auf Lager. Und den liebsten Lichtenbergspruch ihres Regisseurs lassen sie dann auch auf kleinen bedruckten Blättern über die Zuschauer regnen. Der „größte Zwerg“ will einfach keine Ruhe geben, erst recht nicht im Jahr seines 250. Geburtstages. Auch nicht mit den Worten „Lerne den Menschen kennen und waffne Dich mit Mut, zum Vorteil Deines Nebenmenschen die Wahrheit zu reden.“
Die nächsten Aufführungstermine von "Der größte Zwerg" sind am 4.3.2017, 10.3., 18.3 ,31.3., 29.4 , 17.5., 9.6., 30.6. und am 1.7.2017