Friedrich Hebbels Tragödie „Judith“ am Deutschen Theater
Dieser Mord an Holofernes ist nicht planbar. Mögen auch die Motive noch so sehr dafür sprechen, auf die sich Friedrich Hebbels Tragödienheldin „Judith“ stützt. Dass der mörderische Heerführer das jüdische Volk vernichten wird und Gott ihr den Auftrag erteilt hat, ihn zu töten. Auf der Bühne des Deutschen Theaters beginnt ein ebenso gewaltiges wie leidenschaftliches Kräftemessen zwischen einer Frau, die ihre Beweggründe unterschätzt, und einem lebensüberdrüssigen Gegner. Die Sehnsucht nach Liebe, Tod und Erlösung kollidieren in der Inszenierung von Matthias Kaschig, der mit Hebbels hoch komplexem Szenario auch das tragische Schauspiel von zwei einsamen Einzelkämpfern erforscht hat.
Der Geschichte der biblischen Judith mit ihrem heldenhaften Opfergang verweigerte sich schon Hebbel ganz bewusst. Er stellt die Machtfrage, die Judith und Holofernes beherrscht und wie beide verzweifelt darum ringen, endlich einen würdigen Gegner zu finden. An seinem wortmächtigen Stück, das auch Pathos und Emphase nicht scheut, fasziniert zunächst vor allem die analytische Wucht und wie Hebbel Jahrzehnte vor Freud die Seelenlandschaften seiner Figuren in all ihren Deformationen dramatisch diagnostizierte. Dass dabei auch Gefühle ins Spiel kommen, in denen die Lust, den anderen zu zerstören, gegen das Bedürfnis kämpft, sich ihm vorbehaltlos hinzugeben und damit endlich dem Leben.
Man könnte auch von einem dramatischen Labyrinth sprechen, dessen verwirrende Fäden Mattias Kaschig mit dem Schauspielteam aufgreift, auch mit dem Wissen, nicht alle Motivfäden enträtseln zu können. Die Tragödie ließe sich leicht als Geschlechterkampf verstehen, zugespitzt durch die politischen Umstände. Dass hier ein omnipotenter Feldherr auf die Unterwerfung seiner jüdischen Gegner dringt und der einzige Widerstand von einer Frau kommt, die ihm am Ende den Kopf abschlägt. Ein vermeintlich übermächtiger Gott scheint sich mit ihr ebenfalls in den Weg zum Sieg zu stellen. Aber auch das ist nur eine von vielen dramatischen Spuren, in die das kämpferische Paar nicht nur sein Publikum verwickelt, sondern alle anderen Figuren in dieser wahnsinnigen und verzweifelten Tour de Force.
Bühnenbildner Michael Böhler hat die Kampfzone mit kraterhaften Löchern versehen, in die jederzeit ein störrischer Zeitgenosse hinein gestürzt werden kann. Sandsäcke bilden ein Sofa, auf dem Holofernes posiert, wenn er nicht gerade unruhig seine Kreise zieht und ebenso spontan wie willkürlich mal wieder ein Todesurteil beschließt, um sich dann in ein Refugium aus hölzernen Bruchstücken zurück zu ziehen. Es wäre ein leichtes für Marco Matthes, hier einen bösartigen Wüstling auftreten zu lassen. Stattdessen legt er diese unmittelbar mehrdeutigen Spuren, die in dem Feldherrn bereits einen lebensmüden Zeitgenossen ahnen lassen, der sich hinter einemAusdruck von Langeweile tarnt, egal ob er nun herrisch aggressiv reagiert, einfach nur zynisch und gelegentlich auch larmoyant. In all dem Überdruss und der Langweile wütet auch etwas Verzweifeltes, das nach Erlösung sucht.
Ebenso widersprüchliche Zwischentöne verbindet Elisabeth Hoppe mit der Gestalt ihrer Judith. Und das nicht nur, weil die traumatische Eheerfahrung sie in die Rolle einer jungfräulichen Witwe gezwungen hat, in der der Kinderwunsch und das Bedürfnis endlich als Frau anerkannt und wahrgenommen zu werden, einfach nicht verstummen wollen. Auch in ihr lauert eine kaum zu bändigende Wut, die endlich raus will. Wie befreiend wirkt dann der Gedanke, es den schwächelnden Helden im eigenen Lager endlich mal zu zeigen - und das mit scheinbar göttlicher Rückversicherung. Sich dem gegnerischen Feldherrn anzubieten und dafür als Retterin ihres Volkes endlich Anerkennung zu finden, diese Sünde nimmt Hebbels Judith gern in Kauf. Schon der Gedanke daran hat etwas Berauschendes, das die Schauspielerin immer wieder für den Moment aufblitzen lässt.
Hellhörig macht hier auch Felicitas Madl als Dienerin Mirza, wie sie die Strategie ihrer Herrin durchschaut und dabei auch den Defaitismus, der ihre Argumente einfärbt. Auf beiden Seiten der Kampfzone spekulieren Bardo Boehlefeld, Benjamin Kempf und Nikolaus Kühn in wechselnden Rollen und Haltungen über das jeweils opportune Argument, das Judith und Holofernes in ihrem Kräftemessen zum endscheidenden Duell dann noch beflügelt.
Es ist grandioses Schauspiel, dem sich Elisabeth Hoppe und Marco Matthes hier stellen. Wenn sie mit Worten und Gesten auch die widersprüchlichen Gefühle unter Kontrolle bringen möchten, weil es dabei um mehr geht als um erotischen Schwingungen und die Lust, den anderen zu bezwingen, die in diesem verbalen Schaukampf ständig präsent sind. Die Frage, was sich dann hinter diesem hölzernen Verhau abspielt, will diese Inszenierung eine gemeinsame Liebesnacht oder die Fortsetzung eines Kampfes mit anderen Mitteln, will diese Inszenierung bewusst nicht entschlüsseln und lässt so auch ein letztes existenzielles Gefecht ahnen, dem sich dieses Paar hingibt. Auf dass es darin vielleicht für den Moment Erlösung findet.
Die Gestalt, die mit einem abgeschlagenen Kopf über die Bühne irrt, wird von ihrem Volk als Retterin gefeiert. Surreale Bilder erfasst ein Kameraauge im Kopf des Holofernes, der in den Armen einer gebrochenen Heldin ruht. Es irrlichtert entlang von Körpern und Gesichtern, während diese Judith zwischen Wahnsinn und absoluter Leere vergeblich nach Halt sucht. Sie hat ihre einzige Liebe ermordet. Auf göttlichen Beistand ist jetzt kein Verlass mehr und erst recht nicht auf Trost in diesem existentiellen Schauspiel, das nicht mit dem Schlussapplaus enden will weil es so nachhaltig aufstört und bewegt.