Geistliche Abendmusik des Ensembles ProCant am 5.3.2017
"Ich bin katholischer Kirchenmusiker" - mit dieser Positionierung begann Stephan Diedrich die Geistliche Abendmusik des Ensembles ProCant am 5. März in der Martinskirche in Geismar. Und das, obwohl doch auf dem Plakaten und Programmzetteln als Überschrift groß "Bachkantaten zu Lutherliedern" steht. Ein Widerspruch? Eine inhaltliche Spannung, die das Konzert durchziehen wird? Ein katholischer Dirigent, der sich an Luther in der lutherischen Martinskirche "abarbeiten", mit ihm und der Kantate ringen wird? Keineswegs! Was die zahlreichen Zuhörer erwartete, war ein ökumenisches Ereignis, das nicht nur musikalisch, sondern auch inhaltlich zu einem runden Ganzen wurde.
Doch der Reihe nach. Als Ausgangspunkt des Bogens, der geschlagen wurde, stand Psalm 130, "De profundis", des katholischen Dresdener Barockkomponisten Jan Dismas Zelenka. Manch einer nennt die Musik "gefällig", die meisten begeistert jedoch Zelenkas Gespür für Stimmung, seine verrückten musikalischen Ideen und Umsetzungen und die schlichte Schönheit seiner Musik. So auch hier: "Aus der Tiefe rufe ich, Herr, zu dir", so lautet der Text in der deutschen Übersetzung. Und Zelenka setzt dies unmittelbar um, indem er zu Beginn nur die Männerstimmen singen lässt, begleitet vom mit drei Posaunen und Trompete angereicherten Orchester. Dessen Part wird übernommen vom Göttinger Collegium, das souverän und klangschön begleitet und auch bei solistischen Aufgaben (Melanie Büttner, Violine und Wolfgang Glatzel, Oboe) überzeugt. Auch die Gesangssolisten, Sabine Birkenfeld, Alt, Leopold Schmarsel, Tenor und vor allem Stefan Sauer mit seiner aussdrucksstaren, warmen Bassstimme, tragen zum Gelingen der Musik bei. Durch die räumliche Enge
in der Martinskirche - die knapp 70 Mitwirkenden nehmen etwa die Hälfte des kreuzförmigen Raumes ein - ergibt sich eine ungewohnt intime Atmosphäre, die weniger dem ausgewogenen Klang, dafür aber umso mehr dem "Erlebnis" zugute kommt.
Nach Zelenka zog sich das Orchester erstmal zurück und überließ dem Chor den Mittelteil des Programms. Zuerst noch einmal der 130. Psalm, diesmal auf deutsch vom Spätromantiker Heinrich Kaminski, dann "Warum toben die Heiden" Josef Rheinbergers. Fließend vollzog sich nun der Wechseln von katholischer zu protestantischer Kirchenmusik. In Mendelssohns 43. Psalm "Richte mich, Gott" zeigte der Chor besonders seine klanglichen Qualitäten und seine Fähigkeit, zu gestalten - eingefordert vom stets präsenten und klaren Dirigat Stephan Diedrichs. Das anschließende Stück "Immortal Bach" von Knut Nystedt, in dem der Choral "Komm süßer Tod, komm sel'ge Ruh'" J.S. Bachs in jeder Zeile gemeinsam begonnen und beendet, dazwischen aber in individuellen Tempi gesungen wird, bewegte dann sicherlich endgültig jeden Zuhörer in der Kirche. Das lag nicht zuletzt daran, dass das Ensemble ProCant diese ungemein anspruchsvolle Aufgabe nicht nur gekonnt, sondern auch einfühlsam meisterte.
Zum Abschluss des Bogens folgte die Bachkantate "Ach Gott, vom Himmel sieh darein". Besonders hervorgehoben sei der Eingangschor über den Lutherchoral, gehalten im klassischen Stil des Ricercar, mit Choralstimme im Alt, der sich, wie auch der Rest des Chores, gut über das Orchester mit seinen Blechbläsern hinwegsetzen konnte und so zum ausgewogenen Klang beitrug.
"Ich bin katholischer Kirchenmusiker" - was bedeutet dieses Statement am Ende dieser Abendmusik? Ich denke, dass es ein großes Zeichen ist, wenn nach dieser Aussage solch ein wunderbarer musikalisch-ökumenischer Bogen gespannt wird, wie am heutigen Abend in der Geismarer Martinskirche.
Vielen Dank dafür!