Mit dem Stummfilm Der letzte Mann (Deutschland 1924) in der Johanniskirche begann das 15. Göttinger Stummfestivals des Kinos Lumière. Das Besondere an diesem Abend: musikalisch wurde der Film von Bernd Eberhardt an der großen Kirchenorgel begleitet.
Die Geschichte von dem Film ist schnell erzählt: Der alternde Portier des Luxushotels Atlantic (Emil Jannings) wird „wegen Altersschwäche“ in die Herrentoilette versetzt. Das setzt dem Mann heftig zu, er fühlt sich degradiert. Zur Hochzeit seiner Tochter stiehlt er die Portiersuniform. Zum letzten Mal ist er Mittelpunkt einer Gesellschaft.
Doch für diese schnell erzählte Story lässt sich der Film 90 Minuten Zeit. Es ist faszinierend, zu welchen erzählerischen Mitteln in der Stummfilmzeit gegriffen wurde, um die Handlung darzustellen. Gerade dieser Film in der Regie von Friedrich Wilhelm Murnau stellt in der Entwicklung der Filmtechnik und -kunst einen Meilenstein dar. Mit zum Teil geradezu expressionistischen Motiven zum Beispiel in der Traumsequenz, mit Überblendungen und Spezialeffekten werden die Zuschauer:innen in den Bann gezogen.
Tröstlich ist das Ende: der Mann bekommt das gesamte Erbe eines Hotelgastes wird der Toilettenmann nun zu einem umworbenen Hotelgast und zeigt sich gut gelaunt und großzügig.
Großes Kino spielte sich aber nicht nur auf der Leinwand vor dem Altarraum in der gut besuchten Kirche ab. Hinter dem Rückpositiv saß Kantor Bernd Eberhardt auf der Orgelbank der großen Kirchenorgel und verfolgte den Film auf einem kleinen Monitor. Das ermöglichte ihm, in der musikalischen Begleitung immer wieder eine Punktlandung zu erzielen. Die Trillerpfeife, die passende Musik zur Hochzeitstorte, die Blechbläserfanfare, klimpernde Münzen (mit dem Zimbelstern der Orgel), der Tanz oder ein Kinderlied zur rechten Zeit – das waren Klänge, die einem im heutigen Kino im Surroundformat um die Ohren fliegen. Bernd Eberhardt ging aber noch viel weiter: er konnte den Hintergrund der Handlung akustisch aus den Pfeifen seines Instruments entlocken: an der Orgel ging die Sonne auf, es prasselte der Regen oder große Geschäftigkeit begleitete das Geschehen auf der Leinwand. Besonders faszinierend war der Klatsch und Tratsch auf dem Hinterhof.
Das ganz große Kino brachte Eberhardt auf den vier Manualen und dem Pedal der Ott-Orgel hervor: die Stimmungen im Film wurden von ihm faszinierend dargestellt. Der Held auf der Leinwand wurde durch die Musik noch einsamer, noch trauriger. Trübe, düstere Klänge waren zu hören, als für den Mann mit der Versetzung eine Welt zusammenbrach. Und die filmische Traumsequenz war nicht nur optisch ein großes Ereignis, Eberhardt führte gewissermaßen die „akustische Kamera“.
Das unerwartete (und ironische) Happy End im Film griff Eberhardt ebenso gekonnt auf. 90 Minuten nonstop – das war auch eine sportliche Leistung. Am Ende riss es das Publikum förmlich aus den Sitzen: stehend spendeten es dem Organisten lang anhaltenden Applaus.
Weitere Termine des Göttinger Stummfilmfestivals finden Sie hier im Kulturkalender sowie auf der Homepage des Kinos. |