„Ein Suchtstück“ hat Philipp Löhle mit Der Hund muss raus auf die Bühne des dt.2 im Deutschen Theater gebracht. Entstanden ist eine Collage aus Bruchstücken biographischer Altlasten, die Tina Fibiger nach der Premiere unter die Lupe nimmt.
Das Schweigen hält an, das zunächst nur das Geräusch von Kronkorken und ihr metallisches Rascheln unterwandert. An der Bühnenwand bilden sie einen glänzenden, mäandernden Strom, der sich an manchen Stellen wölbt und an anderen einfach abbricht. Das geschieht auch, wenn jetzt die ersten Sätze in Philipp Löhles Szenario Der Hund muss raus kursieren. Spontane und abgelagerte Gedankensplitter kreuzen sich, über den Drogenalltag, die therapeutische Enklave mit der gemeinsamen WG und den Tod eines Mitbewohners. Sie bilden eine Sammlung von Bruchstücken, die der Dramatiker für sein „Drogenstück“ erforscht und auf der DT.2 Bühne inszeniert hat.
Thomas Rumps Bühnenbild verweigert jedes Wohnküchenidyll wie auch die biografischen Erzählungen von Sucht und Abhängigkeit, Ausbruchsversuchen und Zusammenbrüchen keine Anteilnahme oder Betroffenheit einfordern. Wenn sich Paul Trempnau, Christoph Türkay und Jenny Weichert diesen collagierten Altlasten widmen, klingen sie mitunter wie ein sachliches Protokoll, das für den Premierenabend ein weiteres Mal collagiert wurde. Gerd Zinck war erkrankt, so dass seine Schauspielkolleg:innen seinen Part kurzfristig übernahmen und auch den Tenor in den gemeinsamen Statements. Es gibt nichts zu beschönigen und keine Schuldfragen, sondern Klartext, der manchmal wütend, manchmal scheinbar abgeklärt anmutet und auch gerne provoziert wie eine Herausforderung an die Adresse des Publikums. Hört es euch an, macht euch euren eigenen Reim, aber glaubt nur nicht, dass ihr das so ohne weiteres nachempfinden könntet.
Collagiert hat Philipp Löhle diese biografischen Altlasten aus Gesprächen mit Drogenabhängigen, die von der Initiative HioB (Hilfe ohne Bedingung) und dem Göttinger Mediziner Christian Hundshagen betreut werden. Sie lassen sich auch nicht individuell zuordnen, sondern werden wie typische, mögliche oder eben auch untypische Drogenbiografien erkundet. Dabei fallen Paul Trempnau, Christoph Türkey und Jenny Weichert auch ständig aus ihren vermeintlichen Rollen, wenn wieder eine Flut von Kronkorken raschelt oder wenn sie erneut zur Klebepistole greifen. Sie bilden einen Chor der Stimmen, der die Kulturgeschichte des Opiums Revue passieren lässt, die Entwicklung des Drogenhandels mit seinen politischen Helfershelfern, die Strategien der Pharmakonzerne oder die zerstörerischen Prozesse, die Drogen inklusive Alkohol und Nikotin in einem Organismus auslösen. Es sind schrille Szenen, pointiert und frech überzeichnet, die Philipp Löhle auch in seiner Inszenierung mit den Alltagsprotokollen von Therapieversuchen, Beschaffungskriminalität und Gewalt kollidieren lässt. Immer wieder überlagern sich die Stimmen, wenn sie Expertisen abrufen, historisch Chroniken oder die jeweils opportunen Meinungsbilder und wie sehr sie auch mit ökonomischen oder geopolitischen Interessen verknüpft sind. Und auch hier gilt die Ansage, sich darauf seinen Reim zu machen, die vermeintlichen Fakten und Argumente zu reflektieren, die an den biografischen Splitter ebenfalls haften. So vieldeutig lesbar wie dieses Szenario ist auch der Titel Der Hund muss raus. Es gibt das Haustier, das den WG-Alltag immer wieder dominiert, aber es gibt auch Diejenigen, die auf den Hund gekommen sind und dann im gesellschaftlichen Abseits landen und dort nicht ohne Hilfe rauskommen, um sich als Überlebenskämpfer täglich neu zu behaupten oder zu scheitern.
Der Hund muss raus – Ein Suchtstück von Philipp Löhle feierte am 1. April seine Uraufführung im Deutschen Theater in Göttingen. Weitere Vorstellungen stehen am 6., 10. und 21. April sowie am 6., 11. und 20. Mai auf dem Spielplan des DT. |
Hören Sie den Podcast aus dem Theatermagazin Szenenwechsel. Tina Fibiger unterhält sich mit dem Regisseur Philipp Löhle.