In der DT-Tiefgarage glimmt ein Feuer, das noch einen Rest von Wärme verspricht. Es ist eine unwirtliche, trostlose Atmosphäre, in der Regisseurin Antje Thoms und Bühnenbilder Florian Barth die dramatische Vision des britischen Dramatikers Dennis Kelly eingebettet haben. In seinem Szenario Der Weg zurück ist der Fortschrittsglaube abhanden gekommen; was die vermeintliche Zivilisation an Entwicklungs- und Veränderungsmöglichkeiten zusammenhalten sollte, wird radikal demontiert. Regression ist das Gebot der Stunde, während die Lebensverhältnisse ohne Wissenschaft und Technik, Justiz, Religion und Sprache mehr und mehr verkümmern.
Die drei verlebt anmutenden Gestalten, die zunächst noch an der kleinen Flammeninsel verweilen, werden schon bald zu Chronisten, die die Ereignisse reflektieren. Florian Eppinger, Gaby Dey und Paul Wenning begeben sich in den Kreis der Zuschauer und bilden sie einen Chor der Stimmen, der an einen weisen Rat erinnert. Dieser hat all das schon gedacht, gesehen und geahnt hat, was jetzt erzählt wird und wohin es führt.
Auf einem Flugblatt am Eingang zur Tiefgarage wird das Credo noch einmal bekräftigt, wie es die Verhältnisse dominiert, während die Zuschauer:innen mit Kopfhörern ausgestattet werden. „Wissen ist Qual und Nichtwissen ist ein Segen.“ Gewarnt wird auch vor Gerüchten und Verdächtigungen, dass es Hungersnöte gäbe und Hinrichtungsprogramme und dass sich immer noch Mitglieder der Menschheit an die Reste eines zerstörerischen Fortschritts klammern, den ihnen der herrschende Regressionsrat mit allen Mitteln verweigert.
Dennis Kellys Stück zeichnet die Geschichte einer Bewegung nach, wie sie angesichts der globalen kriegerischen und ökologischen Verwerfungen legitime Fragen über Hightech-Arsenale und ihre Abhängigkeit stellt, über eine entfremdete Kommunikation im Miteinander und eine Wissenschaftsgläubigkeit, die der Verschwendung von Ressourcen zuarbeitet. Doch es gibt dazu eine Parallelspur, mit der er diesen Weg zurück an einer Familie über fünf Generationen erkundet und sie mit der Geschichte eines Mannes verwebt, der mit der Sinnfrage kämpft. Mit einem Bündel im Arm umkreist Gabriel Berlepsch das Auditorium und erzählt die Geschichte eines glücklichen Paares, lakonisch, scheinbar abgeklärt, bisweilen auch mit liebevollem Spott, wie märchenhaft es war einmal. Mit dem Kinderwunsch, der mit kolossalem Aufwand in Vitro realisiert wurde, vom Tod der Mutter bei der Geburt von Dawn, den auch diese hochgerüstete Apparatemedizin nicht zu verhindern wusste, dass der Schrei des weinenden Babys seinen Selbstmord verhinderte und ihn wieder auf die Liebe vertrauen lies.
Dawn wird seine Stimme in der Bewegung übernehmen, die für ein Leben ohne WLAN, Strom, Elektromüll und Lebensmittelkonzerne plädiert, Gen-Labore, Justizapparate, Bibliotheken auch mit Terror bekämpft und alles Wissen zum Verstummen bringen will. Die nachfolgende Generation mit den jungen Renegaten (Nele Sennekamp, Moritz Kahl) hat diese Strategie bereits verinnerlicht, die wiederum einen einsamen Kämpfer hervorbringt, in dem zerstörerische Emotionen gegen die regressive Gesellschaftsordnung und die Adepten mit ihren moralischen und sozialen Diktaten wüten. Bald sind nur noch einsilbige Worte zulässig und Buchstabenkürzel, an denen sich die junge Frau in ihrem Fellanzug berauscht. Wie ein Wasserfall sprudeln die Silben aus Nélida Martinez, wie ihre unbekümmerte Dawn jetzt von der verbotenen Neugier einer Freundin schwärmt und dem Blick durch ein Brennglas, das die Dinge ganz nah und so vieldeutig erscheinen lässt, während sie sich am Feuer des Nichtwissens sonnt und nur noch eine Frage stellt: „Wo soll der Sinn herkommen? Alles Quatsch!“
Für sie haben sich die Geschichten und Verwerfungen über eine verschwindende Vergangenheit komplett verflüchtigt, bei der die Stimmen in den Kopfhörern immer wieder innehalten. Das sind nicht nur die der Schauspieler:innen und der beiden Darstellerinnen des DT-Jugendclubs, sondern auch die von Rebecca Klingenberg und Paul Trempnau über Dawn und Jonathan, als sich die Bewegung in moderate und aggressive Parteilichkeit aufspaltete und als noch um Argumente für einen regressiven Weg gerungen wurde. Den drei weisen Chronisten sind auch ihre Hintergedanken anvertraut, wie sie an ihrer Vision zweifeln und gleichwohl an den Verhältnissen, die so nicht bleiben können, ohne dass sie zu einem brutalen Law and Order-System verkümmern, das seiner Gefolgschaft das Denken und Empfinden verweigert.
In der trostlos unwirtlichen Atmosphäre der DT-Tiefgarage, wo Wolldecken und Tee einen Rest von Wärme schaffen, inszeniert Antja Thoms ein Stück der sprechenden Gedankenbilder, in dem es vor allem um das Zuhören geht. Das Schauspielteam versteht seine Figuren auch als Resonanzkörper, in die sie mit sparsamen Gesten hinein lauschen, manchmal auch für eine demonstrative Haltung, aber mehr für diese Momente des Nachsinnens und Reflektierens, wie sich die Deformation des Individuums unter regressiven Bedingungen mitteilbar machen lässt und was auf diesem Weg zurück noch alles verkümmert.
Hören Sie zu diesem Stück auch den Podcast in der Reihe Szenenwechsel. Tina Fibiger spricht mit Antje Thoms über ihre Inszenierung.
Der Weg zurück von Dennis Kelly hatte am 16. April 2022 in der Tiefgarage des Deutschen Theaters Premiere. Vorstellungstermine finden Sie auf der Spielplanseite des Kulturbüros sowie auf der Homepage des Deutschen Theaters. |