Janusz Korczak gilt als einer der wichtigsten Pädagogen des 20. Jahrhunderts. Unter den lebensfeindlichen Bedingungen des Nationalsozialismus leitete er im Warschauer Ghetto ein Waisenhaus und setzte sich unermüdlich für die Rechte von Kindern ein. Bis in den Tod. Der renommierte Theaterautor Christoph Klimke entwirft in seinem Stück die Lebenswelt von Janusz Korczak. Das Stück wurde am 29. April 2022 im Jungen Theater Göttingen uraufgeführt.
Der Kinderarzt, Kinderbuchautor und Pädagoge Janusz Korczak lebte von 1878 bis 1942. Besonders bekannt wurde Korczak durch seinen Einsatz für von ihm betreute Kinder in dem Waisenhaus Dom Sierot, die er bei der Deportation aus dem Warschauer Ghetto in das Vernichtungslager Treblinka begleitet hat.
Bereits im Jahr 1957 fand diese Geschichte Einzug in ein deutsches Theaterstück: Erwin Sylvanus schrieb das Schauspiel Korzcak und die Kinder, es zählt zu den meistgespielten deutschen Nachkriegsstücken. Auch im Deutschen Theater Göttingen wurde Korzcak und die Kinder in der Ära Heinz Hilpert im Jahr 1958 gespielt, eine weitere Inszenierung gab es 1978. Im Jahr 1972 wurde Janusz Korczak, der eigentlich Henryk Goldszmit hieß, posthum der Friedenspreis des deutschen Buchhandles zugesprochen.
2018 fand im Jungen Theater Göttingen eine Lesung des Stückes von Erwin Sylvanus statt. Als Folge dieser Lesung hat das JT einen Stückauftrag an Christoph Klimke erteilt, das jetzt zum 80. Todestag Korzaks seine Uraufführung im Jungen Theater erlebte.
Klimke stellte jedoch nicht den singenden Gang in die Gaskammer in den Mittelpunkt des Stückes. Vielmehr gab er dem Stück den Titel König Korczak oder Wenn ich wieder klein bin. Damit spielt Klimke auf die Kinderbücher von Janusz Korczak an: König Maciuś der Erste und Wenn ich wieder klein bin. Diese beiden Bücher (und andere) gelten heute noch als Klassiker. Henryk Goldszmit alias Januzs Korczak war ein Wegbereiter der Reformpädagogik.
In Klimkes Stück erleben wir zu Beginn den erwachsenen Korczak, der sich umzieht und zum jungen Henry Goldszmit wird. Es folgen einige Episoden seiner Kindheit. Mit Freunden wird eine Königskrone gebastelt, er wird zum König Henryk. Es tauchen seine Eltern auf, er begräbt seinen Kanarienvogel, als jüdischer Junge spielt er mit katholischen Kindern. Etwas später ist aus Henryk Goldszmit wieder Janusz Korczak geworden. Er ist inzwischen Kinderarzt. Man erlebt ihn, wie er mit Kindern Theaterstücke probt. Korczak ist Autor, schreibt Märchen und pädagogische Schriften und hat eine eigene Radiosendung.
In eher surrealen Szenen begegnet er Charlie Chaplin als „Großer Diktator“ und auch Napoleon Bonaparte. Er muss sich mit Diktatur und der Weltpolitik beschäftigen. Zunehmend erfährt er Widerspruch, seine Reformansätze in der Pädagogik werden nicht verstanden. Er aber steht zu seinen Kindern, auch als sie im Warschauer Ghetto Hunger leiden und auch immer häufiger krank werden.
Diese Episoden greifen nicht nur Stationen in Korczaks Leben auf, sondern zeigen auch die Entwicklung des Nationalsozialismus, des zweiten Weltkriegs und das entsetzliche Leiden der Juden. Aber sie zeigen auch die Inhalte, die Janusz Korczak wichtig waren. „Den Erwachsenen hat er die Veränderung dieser Welt zugemutet; den Kindern hat er sie zugetraut: an sie wenden sich seine liebenswürdigsten und zugleich kühnsten Bücher. Er hat der alten Sehnsucht nach einer neuen Ordnung zwischen den Generationen und nach Frieden unter den Menschen jeglicher Art und Herkunft Kraft und eine bis heute wirkende Chance gegeben.“ (Aus der Begründung der Jury zur Verleihung des Friedenspreises 1972). Klimke taucht tief ein in die deutsch-jüdische Geschichte, um eine Utopie der Menschlichkeit zu entwerfen.
Sascha Mey hat die einzelnen Episoden des Stückes fabelhaft umgesetzt. In der enorm wandelbaren Bühne von Jörg Brombacher entstehen durch große, verschiebbare Wände immer wieder neue Räume. In denen agieren Jan Reinartz (Henryk Goldszmit/Janusz Korczak), Agnes Giese, Jens Tramsen, Fabienne Baumann, Dorothea Röger und Michael Johannes Mayer ebenso wandelbar in diversen Rollen, als Kinder, Wegbegleiter, Eltern und anderer Figuren. Gemeinsam zeigen sie Janusz Korczak nicht nur als den selbstlosen Mann, der mit seinen Kindern singend in die Gaskammer zieht. Gezeigt wird der Mensch, dessen Welt am Ende zusammenbricht, der Mensch, der bis heute enormen Einfluss auf die Pädagogik hat – und gezeigt wird Jude Janusz Korczak in einer sehr tristen Zeit.
Natürlich macht die beschriebene Zeit traurig und betroffen. Und am Ende weiß man als Zuschauer womöglich nicht, ob man sofort applaudieren soll. Aber in den zwei Stunden wurde von dem großartigen Ensemble so viel Hoffnung, Freude, Zugewandtheit und auch Optimismus gezeigt, dass diese Stimmungen überwiegen – und auch ansteckend ist.
Mit dieser Produktion ist dem Jungen Theater ein großer Wurf gelungen. Trotz großer Tiefe und Bedeutung wird kein mahnender Zeigefinger erhoben. Es ist kein Lehrstück, in dem sich möglicherweise Schulklassen langweilen werden. Hier wird eine Art Pädagogik auf die Bühne gebracht, an der Henryk Goldszmit seine große Freude gehabt hätte.
Christoph Klimke: König Korczak oder wenn ich wieder klein bin Inszenierung: Sascha Mey, Dramaturgie: Isabelle Küster, Bühne: Jörg Brombacher, Kostüme Sascha Mey/Nadia Dapp Die Premiere war am 29. April. Weitere Vorstellungen stehen am 6. und 18. Mai sowie am 4., 15. und 28. Juni auf dem Spielplan des Jungen Theaters Göttingen. |
Hören Sie auch das Gespräch von Tina Fibiger mit dem Regisseur Sascha Mey aus der Podcast-Serie Theatermagazin Szenenwechsel:
{mp3}2022-04-28 Szenenwechsel JT Koenig Korczak{/mp3}