Der Bühnenraum wird zur Kampfzone in Moritz Beichls Inszenierung von Szenen einer Ehe. Vor begeistertem Publikum feierte das Stück von Ingmar Bergmann am 29. und 30. April 2022 seine Premiere im Deutschen Theater Göttingen.
Das Livestyle Magazin bekommt die perfekte Inszenierung. In der Ehe von Marianne und Johan läuft offenbar alles bestens. Sie präsentieren sich als echtes Vorzeigepaar, beruflich erfolgreich und eingebettet in ein harmonisches Zusammenleben. Sollten sich bereits Risse in der kultivierten Fassade andeuten, dann werden sie zunächst noch souverän umspielt. Ingmar Bergman lässt sich Zeit in seinen Szenen einer Ehe, ebenso wie auch Regisseur Moritz Beichl, der die Geschichte von Marianne und Johan auf der Bühne des Deutschen Theaters allmählich implodieren lässt. Der Schein trügt schon lange, bis endlich die Belastungsgrenze erreicht ist.
„Halt doch dein böses Maul!“. So ein Satz käme Rebecca Klingenberg und Bastian Dulisch nicht so ohne weiteres über die Lippen, wenn sie sich nach ihrem Interview-Auftritt auch für ein befreundetes Paar erneut so schön moderat arrangieren. Dafür verstehen sich Katarina (Andrea Strube) und Peter (Volker Muthmann) um so besser auf verbale Bösartigkeiten und Verletzungen. Als ob das genau die Zutaten sind, die ihre Ehe emotional stimulieren und dabei finanzielle und andere Abhängigkeiten erträglich machen, vielleicht sogar mit bestärkender Wirkung. Die wird sich für Marianne und Johan erst später einstellen, wenn die Alarmsignale von innen endlich nach außen dringen und sich der Bühnenraum von Ute Radler in eine Kampfzone verwandelt. Grüne Wände rahmen den nahezu leeren Schauplatz mit den beiden Treppenstufen. Wenige Requisiten und ein paar Kleidungsstücke lagern an den Seiten.
Der Focus liegt ganz auf Rebecca Klingenberg und Bastian Dulisch. Sie verlassen die fein austarierte Komfortzone, die ihrem Paar Zusammenleben, Halt und Sicherheit versprach und nichts von der andauernden Beengtheit ahnen ließ, in der sie allmählich auch mit ihrer Liebe gemeinsam verkümmert sind. Es sind die vielen kleinen Gesten, ein abgewandter Blick, das kaum wahrnehmbare Schulterzucken, Hände, die sich mit den Worten verkrampfen, und auch die demonstrative Pose, mit der Gespräche und Absprachen eine Verständigungsbereitschaft signalisieren, die nur noch erschöpft.
Der große Knall, wenn Johan sich in eine junge Studentin verliebt, zunächst für eine vorübergehende Trennung plädiert und Marianne in Selbstzweifel stürzt, hat eine lange Vorgeschichte, die zwischen den Zeilen lauert. Rebecca Klingenberg und Bastian Dulisch verstehen sich auf diese subtile Zeichensprache und wie sich dabei bereits der trügerische Schein in den Szenen über eine Ehe entlarvt, in der es nicht zu Wutanfällen und Ekelgefühlen kommen durfte – oder manchmal auch zu Mordgelüsten, die irgendwie kompensiert werden wollten.
Der Schein trügt dann auch in mehrfacher Hinsicht. Es ist die verlassene Marianne, die in ihrer wieder gewonnenen Freiheit selbstbewusst auflebt, und nicht Johan, der sich nach seinem amourösen Intermezzo wieder mit den lang vertrauten Verhältnissen arrangieren möchte. Die Scheidungspapiere segeln von der Bühnendecke auf eine verwilderte Wohnlandschaft aus Schaumgummiquadraten und Rechtecken, wenn endlich all die Versäumnisse und Verluste zur Sprache kommen. Das sind nicht nur Erwartungen und Wünsche, die sich im Zusammenleben nicht behaupten konnten. Hinzu kommt die Angst vor dem Alleinsein, die das Eheversprechen nicht zu besänftigen vermochte, die auch in Moritz Beichls Inszenierung immer wieder anklingt. Dass auf verbindliche Absprachen und Verträge kein Verlass ist, die am Ende nur noch auf Sicherheitsgarantien spekulieren.
Wo der emotionale Aufruhr in Wünschen, Sehnsüchten und Hoffnungen einfach nicht verstummen will, kommt die Musik ins Spiel. Fabian Kuss hat für Andrea Strube und Volker Muthmann eine Serie von Pop-Hymnen arrangiert, die das Szenario wie ein Klangkino für die großen Gefühle und Leidenschaften kontrastieren, die es in Freiräume drängt, die sich nicht an Treuegelöbnisse und andere Modalitäten des Zusammenlebens halten. Darauf verständigen sich auch Ingmar Bergmans Kampfgefährten, wenn sie sich jetzt an neue Ehebündnisse halten und dennoch auf einen Freiraum vertrauen lernen, den sie ganz für sich und auch gemeinsam erproben. Jetzt, wo der Schein für sie und auch für ihr Publikum ein bisschen mehr durchschaubar geworden ist. Das feiert einen grandiosen Theaterabend und ein grandioses Schauspielteam.
Szenen einer Ehe von Ingmar Bergmann in der Inszenierung von Moritz Beichl Die Premiere war am 29. und 30. April 2022 im Deutschen Theater Göttingen. Weitere Vorstellungen stehen am 20. und 27. Mai sowie am 10. Juni jeweils um 19.45 Uhr auf dem Spielplan. |
Hören Sie auch das Gespräch von Tina Fibiger mit dem Regisseur Moritz Beichl in der Podcast-Reihe Szenenwechsel:
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