In der Figur des babylonischen Königs Belshazzar sind alle Elemente von Größenwahn vereint. Das sind neben Machtbesessenheit und Rücksichtslosigkeit auch eine unstillbare Gier, gepaart mit egozentrischen Ausbrüchen, die Georg Friedrich Händel in seinem Oratorium zum Klingen bringt. In der Johanniskirche wurde das Klangdrama unter der musikalischen Leitung von Václav Luks als einer der Höhepunkte der Internationalen Händel-Festspiele gefeiert.
In der Vielzahl szenischer und halbszenischer Aufführungen in den vergangenen Jahren bestätigt sich die eindringliche Bühnenwirkung des biblischen Stoffes, wie sie bereits in Charles Jenners Libretto angelegt ist. Es zeichnet die siegreiche Heimkehr Belshazzars nach dem Überfall auf Jerusalem und die Versklavung der jüdischen Bevölkerung nach, die in Babylon mit einem protzigen Gelage gefeiert werden soll. Die mahnende Stimme seiner Mutter Nitocris ignoriert der Gotteslästerer ebenso wie die drohende politische Gefahr. Vor den Toren der Stadt mobilisiert der persische Fürst Cyrus sein Heer zum Stellungskrieg. Dessen Gelingen mit göttlichem Segen sagt der jüdische Prophet Daniel voraus, der dann auch das geheimnisvolle Orakel in Flammenschrift entschlüsselt, das Belshazzar während des festlichen Gelages in Angst und Schrecken versetzt. Seine Tage sind gezählt.
In der konzertanten Aufführung des Oratoriums vertraut Václav Luks mit dem Solistenensemble, dem Concerto Köln und dem NDR Vokalensemble auf die komplexe Klangsprache, mit der Händel die dramatischen Ereignisse mit der Bühnenwirkung des Librettos und seiner Bildkraft zu einem suggestiven Klangdrama verwebte.
Belshazzar entfaltet sich zunächst wie ein vertontes Narrativ, das die Solisten im ersten Teil des Oratoriums vor eine besondere Herausforderung stellt. Sie sind in der Fülle von Arien und Rezitativen vor allem kommentierende Chronisten der Ereignisse und ihrer Figuren, bis Händel ihnen Raum für Affekte und die vertiefende emotionale Wirkung gibt, und sie in dramatischen und lyrischen Akzenten betont.
Unmittelbar berührt hier vor allem Sopranistin Jeanine De Bique als Nitocirs, wie sie die Stimmen von mütterlichem Schmerz und das Entsetzen über den Größenwahn Belshazzars auch mit politischen Konsequenzen über eine religiöse Verständigung zwischen Juden, Persern und Babyloniern vereint.
Kraft und Zuversicht und die bestärkende Wirkung akzentuiert Mezzosopranistin Mary-Ellen Nesi in der Figur des Perserfürsten Cyrus und auch das Bild eines moderaten Homo Politicus, der mit Bass-Bariton Stephan MacLeod in der Rolle des babylonischen Renegaten Cobrias auch die religiöse Kampfzone befriedet. Bei Countertenor Raffaele Pe fasziniert auch die lyrische Emphase, mit der er die Klangbilder für seinen Propheten Daniel formt. Temperamentvoll energiegeladen bestürmt Juan Sancho sein Publikum mit seiner Stimme und auch mit seinem Gestus. Dieser Belshazzar in seinem zerstörerischen Größenwahn scheint kaum zu bändigen, wie ihn der spanische Tenor fast schon in Szene setzt und dabei die Bildwirkung in Händels musikalischer Erzählung betont.
Und so ist das Publikum an diesem Abend ebenso gefordert, sich mit den vielschichtig differenzierten Klangbildern vertraut zu machen, um der dramatischen Chronik der Ereignisse zu folgen und den Figuren dann auch in der musikalischen Nahaufnahme zu begegnen, wie sie von Concerto Köln wunderbar nuanciert und feinsilbig grundiert wird. Auch das NDR-Vokalensemble begeistert in leuchtend kraftvollen und fein temperierten Stimmfarben, wenn Händel die versklavten Juden zu einem Klagechor vereint, die Babylonier eine siegestrunkene Gemeinschaft bilden und die Perser den versöhnlichen Schlusschor in diesem bildgewaltigen Klangschauspiel.