In der Reihe Klassik für Nachtschwärmer in der St. Johanniskirche präsentierte die Pianistin Carolin Hlusiak Die Jahreszeiten von Peter Tschaikowsky. Die 12 Charakterstücke beschreiben die zwölf Monate, Hlusiak führte die Zuhörer:innen von Juni bis Mai durch das Jahr.
Im Jahr 1876 erhielt Tschaikowsky von einem Musikverleger den Auftrag, für seine Monatsschrift zwölf charakteristische Klavierstücke zu komponieren – jeden Monat eines, das dann in seiner Zeitschrift erscheint. Erst später bekam der Zyklus vom Komponisten den Titel Die Jahreszeiten.
„Sie sind nur wenig gehaltvoll“, heißt es in der Tschaikowsky-Biographie von Edward Garden. Ganz anders wird der Zyklus von russischen Pianisten bewertet. Das mag daran liegen, dass die Musik eng mit der Landschaft und den Gebräuchen Russlands verknüpft ist. Dementsprechend selten werden die Stücke hierzulande gespielt.
Carolin Hlusiak versteht es in ihrer Interpretation, die einzelnen Charakteristika der Stücke herauszuarbeiten. Das beginnt schon mit dem ersten Stück, dem Januar – und zwar, bevor sie überhaupt eine Taste angeschlagen hat. „Stellen Sie sich vor, Sie sitzen im Ohrensessel am Kamin, während draussen die Schneeflocken fallen. Wie fühlen Sie sich jetzt dabei?“ Und weil diese Vorstellung am Ende dieses heißen Tages so absurd erscheint, beginnt die Pianistin mit dem Juni.
„Barkarole“ ist dieser Satz überschrieben, also ein venezianisches Gondellied. Mit sanftem Wellenschlag erklingt eine wunderschöne Melodie – voller Wehmut schaukeln die Zuhörer:innen mit durch die Kanäle. Schon hier wird offenbar, wie Carolin Hlusiak es versteht, den großen und kraftvollen Ibach-Flügel der Johanniskirche zu behandeln. Wie sie diesem Instrument bezaubernde, weiche, ja zärtliche Töne entlockt, ist bemerkenswert.
Schon im Monat Juli hat die Pianistin die Gelegenheit, die Kraft des Klavieres zu nutzen: das „Lied des Schnitters“ beginnt kraftvoll und wendet sich dann den Tätigkeiten auf dem Land zu. Tschaikowsky hat hier auf Lieder ukrainischer Landarbeiter zurückgegriffen, die er während der Sommermonate beobachten und belauschen konnte.
Und so ging es durch das Jahr, zunächst mit der Ernte im August, dann mit Jagdszenen im September, bevor es im Oktober wieder mit einer traumhaft schönen und genauso traumhaft vorgetragenen, wehmütigen Melodie in den Herbst geht.
Im November liegt in Russland bereits Schnee, die Fahrt „Auf der Troika“ findet also auf dem Schlitten statt. Im Dezember wird es vorweihnachtlich in Form eines Walzers. In den großen Ballettkompositionen Tschaikowskys, die für die Vorweihnachtszeit gedacht sind, stehen die Walzer ebenfalls im Zentrum der Musik.
An dieser Stelle enden eigentlich die Jahreszeiten, aber Carolin Hlusiak blättert nun zurück in den Januar. Und jetzt plötzlich passt der Ohrensessel und die Eisblumen am Fenster. Es folgt die ausgelassene Freude im Februar beim Karneval, bevor im März mit dem „Lied der Lerche“ der Frühling naht. Der ist dann auch im April mit den „Schneeglöckchen“ hörbar da, bevor der Komponist im Mai die berühmten „Weißen Nächte“ in St. Petersburg beschreibt. Mit den flackernden und flirrenden Lichtern und einem versöhnlichen Dur zum Ende sind die zwölf Monate herum.
Trotz der vielen Masken konnte man im Publikum spüren, wie viel Lächeln Carolin Hlusiak in die Gesichter der Zuhörer:innen gezaubert hat. Entsprechend herzlich fiel der Beifall am Ende in der zu später Stunde gut besuchten Kirche statt.