Seit 2017 richtet Gerrit Zitterbart, Gründer des Clavier-Salons, alljährlich im Sommer zusätzlich die ClavierTage Göttingen aus, in deren Fokus jeweils das Werk eines Komponisten (die Damen fehlen bis dato) steht; in diesem Jahr ist dies Johannes Brahms. Von Klavier solo über Gesang/Klavier, Bläsertrios, den Violin- und Cellosonaten bis hin zum Streichquartett, Klaviertrios und -quintett wird ein reicher Querschnitt aus dem Kammermusikwerk des Komponisten präsentiert. Dies Konzert vom Sonntag markiert den Abschluss der ersten Hälfte der diesjährigen ClavierTage.
Friederike Starkloff (Violine/1. Konzertmeisterin der NDR Radiophilharmonie) und Gerrit Zitterbart (Klavier) eröffnen den Abend mit Brahms dritter, zugleich letzter Sonate für Violine und Klavier d-Moll op. 108. Für den zweiten Teil erweitert Leonid Gorokhov (Professor an der HMTM Hannover) zusammen mit seinem Violoncello für die Aufführung des H-Dur-Klaviertrios das Duo zum Trio.
So beglückend es ist, als musikalischer Dilettant nach der erzwungenen Pause wieder in größerer Besetzung spielen/singen zu können, so gibt es gewisse Nachteile. Zwei, drei Minuten nach Beginn der Violinsonate wünsche ich mir kurz lieber bei den ersten beiden Konzerten, statt bei eigenen Proben gewesen zu sein… aber wir wollen nicht klagen. Wer weiß, wer es hört?
Der Raum der reformierten Kirche ist dem Grundriss nach sowie mit dem reichlich verbauten Holz ein genial günstiger Raum für Kammermusik. (Mit dem für Kirchenräume kurzen Nachhall zugleich ein akustisch empfindlicher Raum, wenn die Damen und Herren am Instrument ihre Sache nicht verstehen. Davon kann an diesem Abend allerdings keine Rede sein.) Fabelhaft präzise lassen sich die einzelnen Instrumente verfolgen, doch zugleich entsteht ein ausgeglichener Gesamtklang. Natürlich zuallererst Verdienst der MusikerInnen, doch ein bisschen hilft beiläufig die Technik: auch in Form des Klaviers. Ein großes Verdienst des Clavier-Salons – die technische, damit klangliche Vielfalt der Klaviere hörbar zu machen – kommt in diesem Jahr in Form eines Flügels von Baptist Streicher, Wien 1870, daher. Wieviel filigraner, wieviel charmanter im Bass, wieviel weniger schrill im Diskant klingt das gute Stück als die Flügelschlachtschiffe der neuen Zeit. Vor allen Dingen jedoch gibt es in der Kammermusik mit einem Instrument wie diesem keinerlei Balanceprobleme! – Dass Johannes Brahms von 1868 bis zum seinem Tode ebenfalls einen Streicher-Flügel spielte, ist da ein besonderes Schmankerl.
Gibt‘s einen Brahms-Sound? Ja, unbedingt! Ein glutwarmer, voller, satter Ton; mittlere Lage, zumeist. Als Farbe irgendwas zwischen den Braun- und Grüntönen des Herbstes. Das dickflüssige Karamell einer Tarte Tatin; Butter statt Margarine.
Schon nach den ersten Takten der Violinsonate umfängt einen dieser zarte, leicht verhangene Klang. Friederike Starkloff und Gerrit Zitterbart lassen gleichwohl sich von diesem Zauber nicht selbst berauschen, bleiben alle Zeit sehr präzise in der rhythmischen sowie dynamischen Gestaltung. Besonders berühren die sich plötzlich öffnende g a n z andere Tonwelt der Durchführung des ersten sowie die Doppelgriffpassage der Geige im samtigen Gesang des zweiten Satzes. Unruhe, rhythmisch wie melodisch, prägen den finalen vierten Satz, der schließlich in donnerndem Moll endet; unendlich weit entfernt von der vom tastenden, zaghaften Beginn der Sonate. Diesen weiten Bogen zu spannen und auszufüllen, gelingt den beiden ganz hervorragend.
Die Entstehungsgeschichte des Klaviertrios H-Dur op. 8 referiert Zitterbart zu Beginn des Konzertes – im Alter von zwanzig Jahren entstand die Frühfassung, welche Brahms 35 Jahre später einer gründlichen Umarbeitung und Kürzung unterzog, lediglich das Scherzo erfuhr nur geringfügige Bearbeitungen. – Gibt es irgendjemanden, den der Beginn des ersten Satzes nicht verzaubert? Vermutlich ja; die Leute möchte ich aber nicht kennenlernen.
Leonid Gorokhov streicht seine Cellokantilene dermaßen innig, doch kraftvoll zugleich in den Raum: schöner kann es kaum noch werden. Klug disponiert das Trio aber die Kräfte und Lautstärken, um dem Themenwiedereintritt in der Reprise das nötige Gewicht zu verleihen.
Menschen bei dem, was sie können zu zusehen/zuhören ist i.a. eine große Freude, heute Abend bildet keine Ausnahme. Wie fein abgestimmt die Kommunikation zwischen den Dreien stattfindet, ist ein großes Erlebnis. Melodiebögen werden bruchlos übergeben, so als gäbe es nur „ein“ Instrument; die Übergänge zwischen Abschnitten sind prägnant herausgearbeitet; die gesamte Palette der möglichen Lautstärke wird genutzt und es entsteht ein nachdrücklicher Ensembleklang. Vielleicht am schönsten in den Eingangstakten des langsamen, dritten Satzes, wenn das Nacheinander von Klavier vs. Streicher zum Gemeinsamen wird? Zuvor hat das stürmische Scherzo die elegische Stimmung des ersten Satzes rasch hinweggefegt. Die donnernde Tutti-Dur-Passage dort ist einfach großartig geschrieben – und gespielt! Das turbulente Presto agitato des Finales dreht schließlich in trotziges Moll, wobei die drei MusikerInnen bei aller Ekstase nie die Kontrolle verlieren.
Ein traumschönes Werk traumhaft dargeboten. Was will man mehr? - Vielleicht einmal einen Abend mit Frühfassung (Brahms hat sie nicht vernichtet, was sonst vielfach tat) und Spätfassung? - Eine Zugabe hätte das sichtlich mitgerissene Publikum vermutlich nicht gestört, aber es folgen ja noch drei Konzerte bei den ClavierTagen.
Die zweite Halbzeit der ClavierTage 2022 findet statt:
Freitag, den 8. Juli – 19:45h Bläsertrios, Gesang |