Wenn sein bestes Stück in die Luft fliegt, mag Sachbearbeiter Gabor erst recht nicht mehr über Losglück und Gewinnchancen verhandeln. Was sein Edel-Jeep mit der Erbrechtsreform zu tun hat, die er im Jobcenter mit stattlichen bürokratischen Hürden versieht, ist eine ganz andere Geschichte. Aber um Besitzstände, die gesellschaftlichen Status und ein bisschen soziale Anerkennung versprechen und nicht halten, geht es eben auch in Nora Abdel-Maksouds Komödie »Jeeps«, die Meera Theunert zur Spielzeiteröffnung am Deutschen Theater inszenierte. Und dass die gewinnversprechenden Glückslose die ökonomische Schieflage im Grunde nur bestätigen, die Wohlstandbürger von Almosenempfängern trennt.
Mit der Frage „Spielen Sie Lotto?“ bringt das Schauspiel-Team den komödiantischen Ball ins Rollen, was die Gewinnchancen in der kapitalistischen Wettbewerbswelt angeht. Allen voran Rebecca Klingenberg, die als Hartz-4 erprobte Maude mit der Start-up-profilierten Silke (Tara Helena Weiß) das Jobcenter unsanft aufmischen wird. Das Publikum amüsiert sich über ihren Vorschlag, den Platz in der dritten Reihe mit einem im zweiten Rang zu tauschen. Über die Differenz im Kartenpreis wird gar nicht erst gefeilscht. Die Lostrommel hat schließlich so entschieden. Die beiden Premierengäste dürfen natürlich auf ihren Plätzen verweilen, überrascht beziehungsweise auch ein bisschen erleichtert. Die eigentliche Glückslotterie um den staatlich verordneten Erbpoker findet zum Glück auf der Bühne statt. Unter der Aufsicht von Sachbearbeiter Gabor (Roman Majewski) und seinem Kollegen Armin (Gerd Zinck).
Im Abwartesaal des Jobcenters hat sich Silke mit Maude verbündet, nach dem ihr Antrag auf ein Erbschaftslos abgelehnt wurde ist. Die ist nicht nur Expertin für bürokratische Labyrinthe in den Formularen, sondern ganz besonders aufgebracht. Die Pfandflaschenerlös hat ihr Gabor vom Regelsatz abgezogen. Gerade hat sie mit nicht aufgebackenem Backwerk auch noch ihr monatliches Bildungsbudget von 1,51 Euro an einem einzigen Morgen verspeist. Gegen ein Erbschaftslos hätte die Harz-4-Empfängerin ebenfalls nichts einzuwenden, auch weil sie anders als Silke keinen Akademikervater hatte, der Zukunftsfürsorge für sie betrieb. Wo die beiden Sachbearbeiter, speziell dieser unbestechlich verkrampfte Gabor auf Stur schalten, könnte ein kleiner Fernzünder in einem Geländewagen lukrative Wirkung haben.
Auf der Drehbühne mit amtlichem Wartezubehör an Wartenummer-Automaten, Stühlen, Schreibtischkomfort und idyllischem Wasserbassin (Bühne: Laura Robert) rotieren auch deshalb die Ereignisse, weil der Ansturm an potenzieller Erbkundschaft hier natürlich auf die Kundschaft der Arbeitsvermittler trifft. Geschachert wird um Warteplätze, die gern an bedürftige Kinder vergeben werden, weil die nun mal weniger Platz in der Menge benötigen. Lukrativ vermarkten lässt sich auch die strapaziöse Wartezeit für den solventeren Teil der potenziellen Erbklientel. Sei es mit einem Food-Track und bayrischen Tapas, Rechtsberatungsspezialisten oder einer Boulderwand. Fast en passant lässt die Autorin ihre kleinen bösen Pointen über dieses sozialverträglich camouflierte Nullsummenspiel in die Wortgefechte der Figuren einfließen, die das Schauspielteam in der ebenso pointierten Inszenierung Meera Theunerts von genüsslich überzeichnet und zuspitzt. Da haben die Enterbten, die nur um ihr Familienvermögen bangen, für Armin mehr Swing als diese Opferwürste in ihrem Bedürftigkeitsschweiß, um die sich Gabor kümmern muss. Fest steht auch,
dass in diesem behördlichen „Bollwerk der Diktatur“ die Verteilungskämpfe weder demokratisch noch gerecht ausgetragen werden, solange Steueroasen florieren und sich auf moderaten Erbschaftssteuerumwege noch das ein oder andere Schnäppchen verrechnen lässt. Und dass am Ende ja doch die „Gebärmutterlotterie“ über das zukünftige Haben oder nicht haben von jährlich 400 Milliarden entscheidet. Beim Teilen, Umverteilen oder Abgeben, scheiden sich auch bei Silke und Maude die Geister mit dem erpressten Los aus Gabors Glückstrommel. Allerdings fliegt dafür nicht nur ein Mercedes Geländewagen G 400 D in „Obsidianschwarz metalic“ in die Luft. Der Showdown kommt unerwartet, aber treffsicher, mit dem die komödiantisch satirische Erblotterie zum Finale noch einmal satirisch punktet.
Die Komödie »Jeeps« von Nora Abdel-Maksoud hatte in der Inszenierung von Meera Theunert Premiere am 1. Oktober im Deutschen Theater Göttingen. Weitere Vorstellungen stehen am 18., 21. und 26. Oktober, am 23. November, am 19. Dezember und am 12. Januar 2023 auf dem Spielplan.