Zum Literaturherbst türmen sich auch im Deutsche Theater die Bücherberge – und das nicht nur anlässlich der zahlreichen Lesungen auf der großen Bühne. Für die DT-NachtBar am 28. Oktober hatte sich zunächst die Requisite ans Werk gemacht, um die „Bellevue“-Bühne im ersten Rang mit Folianten, Schmökern und Readers Digest Samplern dekorativ auszustatten.
Damit bilden Anna Paula Muth, Lukas Beeler, Gerd Zinck, Andrea Strube und Andreas Jessing ein „Werk-Quintett“ zu später Stunde, das sich selbstverständlich von dem bekannten TV-Format des literarischen Quartetts abhebt, auch wenn der markante Aufruf des legendären Literaturpapstes Marcel-Reich-Ranicki irgendwann fällig ist: „Lesen Sie dieses Buch!“. Schließlich geht es an diesem Abend nicht nur um Lieblingsbücher und Lesefavoriten, bei denen absichtlich das misslungene Happy End verraten wird sondern auch um zeitgenössische Wälzer und stilistische Abstürze, die sich auch mit Berichten von Netflix-Serien mit Zombies, Diashows und musikalischer Poesie kombinieren lassen.
Auf ihrer persönlichen Longlist hat Andrea Strube für Max Porter und seinen Roman „Lanny“ gestimmt. Dort treten zwar keine Zombies in Erscheinung, dafür aber seltsame Gestalten wie ein „Altvater Schuppenwurz“, der sich auf mystische und mysteriöse Signale versteht. Es gibt die lauernde Nachbarin, die einfach nicht tot umfallen wollen, den eigenbrötlerischen Künstler und es gibt Lanny. Der ist mit seinen Eltern aus London in ein abgelegenes Dorf übergesiedelt, wo ihm kein Naturgeräusch mehr entgeht, auch nicht, wenn er nachts mit den Wurzeln einer Eiche redet. Nach ein paar Kostproben aus dem surrealen Panorama mit den Stimmen der Hauptfiguren folgt dann die Empfehlung „Lesen Sie dieses Buch!“
1275Seiten sind schon ein starkes Stück Lesestoff. Das gibt Sonderapplaus für Anna Paula Muth, die den Roman „Das achte Leben“ von Nino Haratischwili schon ein paar Jahre auf ihrem Bücherstapel gehortet hatte. Bei der Suche nach einer passenden Textpassage über Generationen von Frauen in einer georgischen Familie war ein belesener Schauspielkollege behilflich, bevor Anna Paula Muth ihre Lieblingsstelle auf Seite 192 vorlas und von einem in vielen Passagen wahnsinnig brutalen Buch berichte, das zugleich wunderschön sei.
Lukas Beeler wagt einen gewaltigen Sprung in die Trivialliteratur. Man könnte auch von einer unterhaltsamen Bruchlandung sprechen, weil der wilde Plot um heimliche Traumprinzenfantasien so platt ist, dass selbst der Schauspieler ständig ins Kichern kommt. Das ebenfalls kichernde Publikum genießt auch das optische Schauspiel des Schauspielers, der so schön die Augen verdreht und Kopf schüttelnd weiter blättert, um kichernd über die nächste schlichte Worthülse zu stolpern, die schon der Titel dieses Supermarkt-Bestseller ahnen lässt: „Heißer Flirt mit einem Hollywoodstar“.
Mit einem Ausflug auf die britischen Inseln kontert Gerd Zinck das Hollywood-Intermezzo. Er entdeckt dem NachtBar-Publikum den schottischen Schriftsteller und Lyriker Michael Peterson und dessen Widmung für einen Jugendfreund, der sich mit einem Sprung von der berühmten Forth Road Bridge verabschiedet hatte. Dazu gibt es nicht nur eine Dia-Show mit Blick über die Brücke, sondern eine musikalisch poetische Skizze mit dem Jugendfreund Scott Hutchison, der als Singer/Songwriter seinen Selbstmord bereits musikalisch angekündigt hatte.
Andreas Jessing locken da mehr die intergalaktischen Sphären in der „Trisolaris“-Triologie des chinesischen Schriftsteller Liu Cixin Liu. In die habe er sich rein gefressen, schwärmt der Schauspieler und dass nicht nur, weil der Autor darin eine knallharte Abrechnung mit der Kulturrevolution und dem Maoismus vornimmt, sondern mit einer überbordenden Fantasie Welten erfindet. Von stabilen und instabilen Nächten erzählt Jessing, die bis zu 200 dauern können, von Lebewesen, die dann einfach vorübergehend austrocknen, bis sich wieder eine neue Zeit ankündigt.
Schon nach wenigen Minuten hat der sein Publikum zu einem 2400 Seiten Science-Fiction Abenteuer verführt und das auch mit der Aussicht auf ein grandioses Finale.
Auf ein grandioses Finale hält auch Andrea Strube zu, bei dem es nicht um Seiten starke Bestseller geht, sondern um Zombies, wie sie in der Netflix-Serie „The Walking Dead“ umtriebig sind. Dazu gibt es den passenden Zombie-Sound als Hörprobe.
Neugierig geworden ist das Publikum auf alle Fälle, um nach dieser HörBar weitere Lesereisepläne zu schmieden. Der Roman von Nino Haratischwili kursiert bereits als Leihgabe und vermutlich ist auch bald ein Waldspaziergang mit Max Porters „Lanny“ fällig oder ein neuer Bücherstapel mit dem Vermerk „Lesen Sie dieses Buch!“.