Große Begeisterung lösten der Musiker Andreas Düker und Jazzsängerin Susanne Vogt am 4.12. in Nikolausberg beim anwesenden Publikum aus. Beeindruckender Requisiten bedurfte es hierbei keineswegs. Mit ihrer ganz eigenen Interpretation und Präsentation einer erlesenen Ausawahl von Kurt Tucholskys Texten glänzten Sie an diesem Abend.
Man möchte immer eine Bar mit runden Tischen und mit Cabaret-Atmosphäre – und dann bekommt man einen Gemeindesaal – c’est la vie könnte man in Abwandlung des Tucholsky-Gedichtes Ideal und Wirklichkeit über diesen Liederabend am 04. 12. 2022 in Nikolausberg sagen. Aber nur kurz, denn dann ziehen Susanne Vogt und Andreas Düker das Publikum in ihren Bann und es bleibt die Konzentration auf eine attraktive Auswahl von Tucholsky-Texten und Liedern.
Sie: eine zierliche Person mit Juliette-Gréco-Frisur und schwarzem Hosenanzug, die Chansonnière; Er: schwarzes Hemd mit roter Krawatte, Jackett und Hut, fast wie die Portrait-Collage Kurt Tucholskys, die zu Anfang den Hintergrund bildet. Dazu sparsamste Requisite: ein alter Koffer, beklebt mit dem Schriftzug seiner Unterschrift sowie wechselnde, von S. Vogt selbst gestaltete kunstvolle Collagen mit Motiven aus den 1920-er Jahren, Plakaten, Personen, Schlagzeilen und historischen sowie aktuellen Straßenszenen an der Wand. Und darauf zu sehen sind immer wieder Menschen, Menschen zwischen Gestern und Morgen. Und um Menschen geht es Tucholsky immer: um das Allzu- menschliche, das Große und das Kleine vor dem Hintergrund von Politik und Zeitläuften, um das Verhältnis der Geschlechter zueinander, um den grauen, manchmal grausamen Alltag der sog. kleinen Leute – gestern wie heute aktuell –, die in ihren Beziehungen zu ersticken drohen, die ihre Illusionen verlieren, die nach Auswegen suchen, um aus materiellen oder psychischen Krisen herauszukommen, manchmal um den Preis des Verkaufs der eigenen Persönlichkeit und die unter die Räder oder auch in den Graben des Ersten Weltkrieges geraten sind, lebenserfahren, abgebrüht, schicksalsergeben, pfiffig, zynisch oder dem Schicksal auf andere Weise ein Schnippchen schlagend.
So dunkel Kostüme bzw. der Inhalt mancher Texte teils anmuten mögen, so schwungvoll, aktuell und faszinierend hell(sichtig) die Interpretation. Das liegt an der zeitlosen Qualität der Texte und dem hintergründigen Humor des scharfsinnigen Beobachters Kurt Tucholsky, der seiner Zeit, der Weimarer Republik, gnadenlos den Spiegel vorhielt. Kaspar Hauser, Peter Panter, Ignaz Wrobel, Theobald Tiger: das sind die Pseudonyme, hinter denen sich der schreibende Zeitgenosse zusätzlich zu seinem echten Namen verbarg, damit die Leser und Leserinnen der kleinen Zeitschrift Weltbühne, für die er arbeitete, nicht immer denselben Autorennamen lesen sollten.
Dieser Tucholsky-Abend besitzt eine besondere Qualität dadurch, dass Vogt und Düker die meisten der Texte mit eigenen Vertonungen bzw. Arrangements versehen haben. Dadurch wirken diese sehr authentisch und keineswegs nur vorgetragen. Vogt unterstreicht ihren Vortrag durch sparsame, fast filigrane Gesten; gelegentlich zieht sie – wie zufällig – ein Blatt aus dem Koffer: Lebensweisheiten trocken serviert. Ihre Interpretation der Texte, in denen Tucholsky eine weibliche Perspektive einnimmt, wie v.a. im ersten Teil des Programms, wirken besonders authentisch; Vogts eigene musikalische Fassungen, die sie mit unterschiedlichen Gitarren begleitet, steigern ihre Qualität zu Chansons.
Andreas Dükers Part ist der des Begleiters auf sehr unterschiedlichen Saiteninstrumenten, von der E-Gitarre bis zur Ukulele, aber nicht nur: auch er rezitiert, z.B. den Nonsens-Text Zur soziologischen Psychologie der Löcher. Die musikalischen Stile sind abwechslungsreich: Funk, Blues, Folk, Volksliedhaftes, jamaikanische Rhythmen und der Gassenhauer wechseln und lassen jeden einzelnen Text in einem ungewohnt neuen Gewand erscheinen. Die Berliner Rotzigkeit, die sonst vielfach Tucholsky-Abende kennzeichnet, fehlt hier zum Glück. Dadurch und durch die differenzierte Darbietung gewinnen die Texte einen überraschenden neuen Glanz.
Nach der Pause dominieren politischere Themen. Schon sehr früh hatte Tucholsky die Gefahren, die vom aufkommenden Nationalsozialismus ausgingen, erkannt und sie unnachsichtig angeprangert. Teilweise konnte Hintergrundwissen nicht schaden, wenn es z.B. um die Rechtslastigkeit der Weimarer Justiz ging. Küsst die Faschisten, wo ihr sie trefft!, eine Zeile aus Rosen auf den Weg gestreut bewegt sehr, genauso wie Der Graben, dieser kompromisslose Anti-Kriegs-Appell mit der Aufforderung Werft die Fahnen fort, die Andreas Düker mit einem Motiv aus Chopins Trauermarsch untermalt – aktuell wie je zuvor.
Kritik am gewöhnlichen Weiterwursteln, das Leiden an den Zuständen, Ironie und Selbstironie, leidenschaftlicher politischer Appell, v.a. aber große Menschenkenntnis prägen die Texte dieses Schriftsteller-Journalisten, die an diesem Abend zu hören waren. Große Begeisterung beim leider zahlenmäßig gering vertretenen Publikum.
Die nächsten Termine sind:
Freitag, 16.12.22, um 20:15 Uhr im APEX
Sonntag, 18.12.2022, um 16.15 Uhr im Archäologischen Institut, Nikolausberger Weg 15.