Fast leer und zugleich überfüllt von Obsessionen erscheint der Bühnenraum mit dem Parkettboden, der einem Schachbrett nachempfunden ist. Grüne Vorhänge ummanteln ihn wie ein verborgenes Kraftfeld. Lange haben sie die Außenwelt wegblenden können, die jetzt in diesem Schauspiel von Gewalt und Leidenschaft nach Motiven des Films von Luchino Visconti so aufdringlich und verletzend Unruhe stiftet. Die einsame Gestalt, die sich hier fast nur noch mit ihrer Kunstsammlung verständigt, ist den Zumutungen nicht gewachsen, wie sie mit dem Raum auch sein Innenleben mehr und mehr okkupieren. Es sind vielleicht nur Spielfiguren, die auf diesem Schachbrett ihre Winkelzüge machen und scheinbar willkürlich auf ihr Ziel zu halten. Doch in ihnen lauert auch etwas Geisterhaftes, wenn sie von Jakob Weiss in seiner Inszenierung zur Spielzeiteröffnung am Deutschen Theater in ein Traumspiel verwickelt werden.
Es braucht keine Bücherwände mit kostbaren Folianten und auch keine Gemäldegalerie für den namenlosen Akademiker (Paul Wenning), dem jetzt ständig ein aufdringliches „Professor“ entgegen dröhnt. Der Bühnenraum atmet seine stillen Leidenschaften und diese einsamen Momente der Kontemplation, die seinen ungebetenen Gästen fremd ist. Umso energischer bedrängt ihn nun diese Marchesa Brumonti (Angelika Fornell), weil sie die Dachetage seines Palazzo mieten möchte. Weiteren höflichen Abwehrgesten und Einwänden trotzen ihre Tochter Lietta (Anna Paula Muth) und deren Verlobter Stefano (Gabriel von Berlepsch) ebenso unbeirrbar und ignorant wie später auch Konrad (Daniel Mühe), der junge Geliebte der Marchesa, zu dem der Professor eine besondere Beziehung entwickelt.
Eine laute, ungehobelte Gesellschaft breitet sich aus. Launige Posen und Eitelkeiten, Wutanfälle und Eifersuchtsattacken, alles wird verschwenderisch zelebriert und ausgelebt. Doch etwas von diesem schrillen schönen Schein, den auch die Kostüme von Elena Gauss wirkungsvoll zur Schau stellen, durchdringt diese Atmosphäre kultivierter Abwehr, selbst wenn die neuen Mieter bereits Wände einreißen lassen und dabei seine bibliophilen Schätze fluten oder wenn es zwischen der Marchesa und ihrem störrischen Liebhaber mal wieder zu wüsten Beschimpfungen am Telefon kommt. Dem einsamen Wissenschaftler und Kunstliebhaber erschließt sich ein Gefühl von Lebenshunger mit der Sehnsucht nach Nähe und Zuneigung und vielleicht sogar dem Bedürfnis nach familiärer Geborgenheit, das sich bereits im ursprünglichen Filmtitel andeutet: Familiengruppe in einem Innenraum.
Auch entlang dieser kunstwissenschaftlichen Bezeichnung für englische Gruppenportraits des 18. Jahrhunderts spürt Regisseur Jakob Weiss den Motiven in diesem Szenario über Gewalt und Leidenschaft nach, die er wie in einem erzählerischen Labyrinth aufleuchten lässt. Dass sich in diesem Palazzo und seinem liberalen Bewohner eine Industriellenfamilie eingenistet hat, die selbstbewusst für das neofaschistische Lager Position bezieht, auch wenn es an dem geplanten Staatsstreich des Familienoberhauptes nicht unmittelbar beteiligt ist. Oder dass Konrad nicht nur eine Vorgeschichte als linker 68er hat, in der Spiel- und Drogenszene umtriebig ist und das politische Lager seiner exaltierten Gönnerin ausspäht.
Die Gestalt, die jetzt im Ledersessel auch die sexuellen Eskapaden und Partygeselligkeiten auf sich wirken lässt, hat noch einen anderen Blick auf diese „Familiengruppe im Innenraum“, bei dem es nicht um egomanische Posen und Positionen geht, sondern um Verluste und Enttäuschungen, in denen die malerischen Stillleben Halt geben mussten und auch die Musik. Eine Mozartarie umspielt die Begegnung mit dem jungen Konrad und dieses Sehnsuchtsmoment von Leben im Geliebt-Werden. Paul Wenning und Daniel Mühe stehen einander mit Abstand gegenüber mit einem gemeinsamen emotionalen Raum, der keiner Worte bedarf und keiner Berührung und darin um so tiefer berührt.
Dieser gemeinsame Raum wird sich auch später nicht verflüchtigen, weil Jakob Weiss in seiner Inszenierung auch auf die Sprache der Bilder vertraut, die aus der Imagination schöpfen. Selbst wenn er dann von intriganten Spielzügen belagert wird, von Machtgelüsten und politischen Manövern und schließlich auch verraten. Neben den Anfeindungen lärmen bereits die Stiefelschritte, während sich die hinteren Vorhänge erneut öffnen. Die neuen Mieter genießen ihren Auftritt mit Militärinsignien und plakativen Terrorsymbolen ebenso wie diese letzte verräterische Tafelrunde mit Lilienschmuck und Stundenglas. Sichtbar werden jetzt die Zeichen von Tod, Abschied und Vergänglichkeit, die sich schon viel früher in diesem Palazzo eingenistet haben.
Auch davon erzählt dieser Theaterabend um diese einsame Gestalt, die ihr Ende herbeisehnt und sich noch ein letztes Mal verweigert. Mit diesem Traumspiel über gelebte, erhoffte und nie gelebte Begegnungen, die jetzt wie in einem surrealen Gemälde kollidieren und pulsieren.
Die Premiere war am 12. September. Eine weitere Vorstellungen steht am 25. September auf dem Spielplan. Weitere Termine entnehmen Sie bitte dem Spielplan des Deutschen Theaters. |
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