Da waren wohl Verkleidungskünstler am Werk, die einfach mal den Fundus an streifigen Mustern, schrägen Verzierungen und knalligen Farben geplündert haben. Auf der DT-2 Bühne haben Ausstatterin Mara Zechendorff und Rabea Stadthaus auch ein paar leicht derangierte Pappkartons und Papiertüten untergebracht, wie sie mit Sicherheit auf vielen Dachböden lagern, damit auch wirklich niemand die alte Röhrenhose und die ausgebeulten Tennissocken zu sehen bekommt. „Die fürchterlichen Fünf“ haben zwar andere Sorgen als ihr modisches Erscheinungsbild. Aber wenn sie sich jetzt so sehen könnten wie die Zuschauer in der Inszenierung von Selina Girschweiler, dann würden sie vermutlich nicht so frustriert vor sich hin brüten und nuscheln, jammern keifen und raunzen.
In seiner bilderreichen Geschichte für Kinder und ewig junge Gemüter lässt Wolf Erlbruch „Die fürchterlichen Fünf“ unter einer Brücke irgendwo am Stadtrand in der Pampa kampieren, wo es ständig müffelt, was noch mehr miese Laune macht. Für das Bühnenabenteuer ist daraus ein Netz mit kräftigen Seilen geworden, das an vierHolzpflöcken hängt und schaukelt. „Die Fürchterlichen Fünf“ sind hier eigentlich nur zu Dritt, damit sie überhaupt Corona-sicheren Spielraum haben. Aber auch dabei schöpfen Marie Seiser als Kröte und als Fledermaus und Lukas Beeler, der sich abwechselnd in die Ratte und die Spinne verwandelt, aus einem wunderbaren Fundus und spielen eben Doppelrollen. Mit einem grünen Plastikkissen auf dem Bauch lässt sich über hässliche Warzen wehklagen und wenn der ramponierte Regenschirm flattert, ist es mal wieder an der Zeit für ein kleines Fledermaus-Lamenti vor dem Morgengrauen. Tolle schwarze Tentakel baumeln da an einer schwarzen Kappe und schon kann die Spinne traurig sirren und summen, bis die Reihe an der Ratte ist und Lukas Beeler einen grauen Mantel mit rattenscharfem langen Schwanz aus einer Einkaufstüte fischt und keift: „Wir werden alle nicht hübscher!“
Marina Lara Poltmann hat zwar als Hyäne die einzige Solorolle und ein besonders schräges Outfit, das sie noch mit einer Perücke aufpeppt. Aber schließlich hat sie ja auch die ziemlich knifflige Aufgabe, dieses tierisch trübe Quartett in eine gut gelaunte, selbstbewusste, freche Bande zu verwandeln, die endlich auf seine vielen ganz besonderen Talente vertrauen lernt anstatt sich weiter hässlich zu finden und einsam zu fühlen. Dass es darauf ankommt, sich selber zu mögen und nicht darauf, was andere über einen sagen, dafür braucht es schon hyänenmäßigen Einsatz und eine Stimme, die musikalisch so bezaubert, das selbst die dickste aller dicken Warzen nicht mehr stört. Das Sirren, Summen, Keifen und Brummeln hat plötzlich einen anderen Klang. Mit musikalisch inspirierendem Support von Sven von Samson lässt sich auch aus den finsteren Geräuschen, die um den fürchterlich trüben Alltag unter der Brücke herum wabern, ein prima Sound kreieren. Glockenspiele, Rasseln und gestimmte Röhren sind extra tolle Zutaten für eine tierische Band, die so leicht keiner toppen wird. Erst recht nicht, wenn ihr mit der Kröte eine so vorzügliche Pfannkuchenbäckerin zur Seite steht. Die kann halt nicht mit musikalischen Talenten punkten, hat aber so viele fantastische Rezepte im Sinn, dass der Plan der „fürchterlichen Fünf“ noch ein ganz besonders schönes süßes Sahnehäubchen bekommt: „Wir machen eine Pfannkuchen-Bude mit Musik auf!“
Natürlich bergen Kartons, Papiertüten und verborgene Nischen unter dem Bühnennetz auch alle Zutaten für das große Eröffnungsfest mit ganz viel Licht und Farbe und Stoff und vor allem Fantasie. Darin bezaubert und vergnügt die Inszenierung von Selina Girschweiler ganz besonders, weil sie ihre Zuschauer auch in ein Kinderzimmer einlädt, wo die Dinge ständig ein Eigenleben entwickeln. Dort kann sich eine Schüssel jederzeit in einen hohen Berg verwandeln genauso wie unter der Bettdecke jeder unsichtbar ist, wenn er die Augen fest zusammenkneift. Vermutlich steht in den wenigsten Kinderzimmern so ein Hi-Hat wie auf der Bühne, das jetzt einfach zum Pfannkuchenofen erklärt wird. Aber bestimmt findet sich ein kaputter Regenschirm, um die Fledermausflügel endlich mal richtig flattern zu lassen.
Besonders ihrem ganz jungen Publikum lässt die Regisseurin viel Zeit zum Staunen, Imaginieren und Verstehen, was da alles passiert. Dass es jetzt keine weiß gedeckten Tische gibt und auch keine Stühle, sondern kleine gehäkelte Platzdecken und dass die Fantasie keine Tischdecken und Servierten braucht, damit es in der Pfannkuchenbude so aussieht wie zu Hause, wenn dort was ganz Besonderes gefeiert wird.
So fantastisch kann es natürlich nur bei den fürchterlichen Fünf aussehen, auch wenn sie jetzt fast der Mut verlässt, weil sich trotz der vielen Einladungen Niemand lässt. Aber mit einem Berg von Pfannkuchen lässt sich ja auch wunderbar allein feiern und Musik machen und überhaupt. Die tierische Nachbarschaft, die dann mit den Hasenohren wackelt oder wie eine Kaulquappe blubbert, braucht eben länger, um sich für den Song der Fürchterlichen Fünf so zu begeistern wie das Publikum, das noch eine ganz entscheidende Ansage feiert. „Machen wir das in Zukunft öfter?“ fragt die Ratte und das auch sehr zur Freude der Fledermaus. Die kann jetzt einfach noch ganz viele Fans mobilisieren: „Ab heute jeden Abend mit Einbruch der Dämmerung!“
Die Premiere war am 24. Oktober im Deutschen Theater. Weitere Vorstellungen stehen für den 1., 5., 7., 11., 22. und 29. November auf dem Spielplan. |