Auf den Bühnenrand prasselt ein kurzer Regenschauer. Von der Decke regnet es immer wieder Fischkörper. Die Flunder wird Rebekka mit einem neuen Rezept veredeln und zum Abendessen ihre Familie herbei sehnen. Diese unbändige Vorfreude, in der Andrea Strube jetzt mit dem Herd über die Spielfläche tanzt, spricht aus den Worten von Erich Sidler zur Wiedereröffnung des Hauses mit Noah Haidles Komödie „Alles muss glänzen“ in der Inszenierung von Isabel Osthues: Dass das Herz des Theaters endlich wieder schlägt, im unmittelbaren Dialog mit seinem Publikum, und das mit einem Stück, indem sich die sozialen Auswirkungen einer Pandemie spiegeln, in der das gesellschaftliche Leben und das Miteinander verkümmerte.
Der Radiomoderator kündigt immer wieder Hits aus den 60er Jahren an, die diese Rebecca beflügeln. Gleich wird sie sich mit ihrer Tochter Rachel (Nathalie Thiede) auf den Abschlussball freuen und über diese strahlend schöne junge Frau, die gleich von Gary (Lukas Becker) abgeholt wird, um mit ihm vielleicht auch diesen glücklichen Moment zu erleben – wie damals mit ihrem späteren Ehemann. Wieder steht Andrea Strube ihrer Rebecca mit einem strahlenden Lächeln und euphorischem Überschwang zur Seite, wie die sich der drohenden Verzweiflung in der Einsamkeit verweigert. Der Ehemann hat sie vor einem Jahr verlassen, Sohn Michael ist ihm gefolgt und Rachel vermutlich längst auf dem College. Sie vertraut auch weiterhin auf den wichtigeren Teil ihres Lebens mit den Vorbereitungen für das liebevolle zu Hause, das sie mit ihrer Liebe geschaffen hat.
Draußen kündigt sich ein Unwetter biblischen Ausmaßes an. Doch selbst eine drohende Sintflut kann der Innenwelt, mit der sich diese Frau am Leben hält, nicht bedrängen. Real ist für sie, was sie an Gesprächen imaginiert und auch an Erinnerungen, mit denen sie den Abend wie so viele zuvor durchlebt. Nachbarin Gladys (Gaby Dey) schaut kurz vorbei und hinterlässt noch eine schmerzhaft spöttische Anekdote über den Versuch, ihr Eheleben erotisch aufzupeppen, bevor sie sich in Rebeccas Badezimmer mit einem Gewehr erschießt. Sie wird die Einladung zu einer köstlichen Flunder ebenso wenig annehmen wie dieser Poltergeist, der als gescheiterter Vergewaltiger auftritt und seine Einsamkeit beklagt. Rebecca will auch ihren früheren Lateinlehrer Mr. Chalmers (Ronny Thalmeyer) mit dieser unbedingten Zuversicht wieder aufrichten und verweist nur einen ungebetenen Gast (Lukas Becker), der ihre Welt real bedroht, wenn er sie als Zeuge Jehovas mit göttlichen und teuflischen Rachedämonen malträtiert und ihr jede Form von Mitgefühl verweigert. Dann erscheint endlich Sohn Michael (Gabriel von Berlepsch) und rollt den festlich gedeckten Tisch auf die Bühne, nach seine Mutter ihr psychisch krankes Sorgenkind aus dem Bauch eines Walfisches befreit hat und sich mit ihm in ihrer bedingungslosen Liebe für ihre Familie endlich verstanden fühlt.
Auf dieser scheinbar surrealen Ebene finden die Ereignisse und die Begegnungen statt, die jetzt unbedingt gebraucht werden, egal wie irritierend, seltsam oder absurd sie anmuten. Darauf vertraut auch Isabel Osthues in ihrer Inszenierung, damit sich Noah Haidles Rebecca noch einmal die Nähe zurückwünschen kann, die ihrem Leben auch über viele strapaziöse Jahre Sinn gegeben hat. Mit dem mütterlichen Rat küsst eine verzweifelte Rachel eine ramponierte Puppe, nachdem ihre Gerry auf dem Heimweg von einem Hai zerfleischt wurde und ihre Liebeserklärung nicht mehr hören kann. Ein fürsorglicher Michael entsorgt dann die zertrümmerten Requisiten des Abends, wenn es an der Zeit ist, sie ebenso wie das lebenslange emotionale Chaos in einem gewaltigen Saugrohr einfach verschwinden zu lassen. Dann verschwindet auch die Wand mit der Tür zu dem blutigen Badezimmer, während die Treppe für den effektvollen Auftritt Rachels zum Abschlussball nun erneut an die Rückwand mit dem wohnlichen Dekor gefügt wird.
Auch Jeremias Böttchers Bühnenbild verstärkt diese surreale Ebene, auf der die Dinge und die Gedanken ein Eigenleben entwickeln und jede Figur auf ihre Weise aus einem imaginären Raum in Erscheinung tritt. Bis auf den bigotten Prediger klopft auch niemand an die Haustür, durch die immer wieder eine kleine Flutwelle mit Fischkörpern schwappt, bis der Radiomoderator mit only you endlich die einzig wahre Sehnsuchtsmelodie ankündigt und die Gestalt in der Kittelschürze sich wieder in das junge Mädchen verwandelt, das auf der Tanzfläche seinen Traum vom Glück gefunden zu haben glaubte. Dieser Traum darf auch in ihrer letzen Vision nicht fehlen, wie er sich jetzt in Cowboykluft und mit geschultertem Sattel wieder einfindet, auch wenn Ronny Thalmeyer nur das gemütliche Wohlbehagen mit heißem Kakao beschwört. Der Schuss draußen vor der Tür könnte auch dem geflüchteten Ehemann gelten. Aber es ist diese bis zuletzt kämpfende Mutter, Hausfrau und Familienbeschützerin, die den Cowboyhut trägt und sich nach einer letzten, leidenschaftlich verzweifelten sentimental journey von allem befreit.
Die Premiere war am 3. Juni 2021. Weitere Vorstellungen gibt es am 10., 16. und 25. Juni, jeweils um 19.45 Uhr im DT-1. |
Zu diesem Stück gibt es eine Ausgabe vom Theaterpodcast »Szenenwechsel«: Kulturbüro-Autorin Tina Fibiger im Gespräch mit der Regisseurin Isabel Osthues
Weitere Informationen auf www.dt-goettingen.de