Nach Monaten des Hoffen und Banges öffnet auch das Theater im OP, sehr zur Freude aller Engagierten und Beteiligten, wieder seine Pforten. Der Spielbetrieb beginnt mit dem Klassiker Geschlossene Gesellschaft von Jean-Paul- Sartre, in welchem der Zuschauer mitgenommen wird auf eine wilde Höllenfahrt, denn dort in einer sehr besonderen Hölle spielen sich die Geschehnisse ab.
Drei im Halbrund angeordnete abgenutzte Sofas stehen da, das eine rot, ein zweites in dunklem Blau, das dritte Spinatgrün, alle haben schon bessere Zeiten erlebt. Ein kleiner runder Tisch trägt eine bronzene Barbedienne Figur, langestreckt-hageres Bildnis einer weiblichen Gestalt, ein weiterer Tisch befindet sich neben dem roten der drei Sofas. Der Raum glimmt in schummrig-orangefarbenem Licht, dämmerig diabolisches Glühen.
Die Kellnerin (Claire Seibt) betritt in sichtlicher Vorfreude den so spärlich möblierten Raum als eine Art Hausmeisterin im Blaumann mit Werkzeuggürtel. Ausgelassen tanzend legt sie letzte Hand an das Arrangement der Einrichtungsgegenstände, sie winkelweise verrückend und platziert auf dem Beistelltisch versuchsweise einen schweren Holzhammer, den sie nach kurzer Überlegung jedoch durch ein schmales Teppichmesser ersetzt. Zufrieden mit dem Ergebnis verlässt sie den Raum, nicht ohne sich zuvor etwas Luft zuzufächeln- es ist heiß in der Hölle, die nun nacheinander die Protagonisten betreten werden.
Garcin, Journalist und Literat (Jonas Salm), der sich in der Pose des eleganten und doch verwegenen Gentleman gefällt, wird als Erster von der Kellnerin in den „Salon“ geführt, wo er nach anfänglicher Erleichterung über die Abwesenheit der erwarteten Foltergeräte – Roste, Pfähle, Ledertrichter – die Qualen dieser Hölle zu erkennen beginnt: die Unfähigkeit die Augen zu schließen, zu schlafen und im Traum der Situation und den eigenen Gedanken zu entfliehen, das Verschwimmen von Tag und Nacht zur traumlosen Endlosigkeit eines toten Daseins oder vielmehr Nicht-mehr-Daseins, dumpf-schwüle Hitze. Während eines Dialogs mit der Kellnerin macht diese Notizen und vermerkt mit nonchalanter Schadenfreude Einzelheiten über den neuen Gast.
Garcins anfängliche Isolation, in der er sich unbestimmt sinnlosen Tätigkeiten überlässt wird unterbrochen durch die Ankunft von Ines (Pauline König). Ines ist eine homosexuelle Postangestellte, die ein dominantes Auftreten an den Tag legt und Garcin fälschlicherweise für den Folterknecht hält. Nachdem dieses Missverständnis aufgeklärt ist, macht sie keinerlei Hehl aus ihrer Antipathie gegenüber Garcin und ihrem Widerwillen gegen die Aussicht, das Zimmer mit ihm zu teilen.
Komplettiert wird das Personenensemble mit dem Eintreten Estelles. Estelle, ein mondäne, aber oberflächliche Dame von Welt (Hannah Fecht) erwartet einen gesichtslosen Menschen anzutreffen. Als sie erkennt, dass dies nicht der Fall ist, gilt ihre erste Besorgnis dem Umstand, dass das verbliebene spinatgrüne Sofa nicht mit dem Himmelblau ihres Kleides harmoniert, woraufhin Garcin auf Ines Aufforderung hin das dunkelblaue Sofa für Estelle freigibt.
Was nun, nach diesen ersten drei Szenen beginnt zieht sich bis zum Ende des Stückes hin- es ist das Buhlen um Vergebung und Mitleid, der Wunsch, gerettet zu werden, die Konfrontation mit den eigenen Lebenslügen, ein verworrenes Spiel aus Ablehnung, Zuwendung, Hass, Selbstanklage, dem Wunsch nach Anerkennung und gegenseitiger Demütigung. Permanent wechseln in diesem Spiel, bedingt durch die Dreierkonstellation, die Verhältnisse von Macht, Ohnmacht, Stärke und Verwundbarkeit.
Für Estelle beginnt die Qual mit der Erkenntnis, dass kein Spiegel vorhanden ist, indem sie sich ihrer eigenen hohlen Existenz versichern könnte. Ines, die sich zu Estelle hingezogen fühlt, bietet sich als Spiegel an und beginnt ein manipulatives Spiel um Estelle zu becircen, gleichzeitig aber ihre Unsicherheit und Furcht zu provozieren und so die Verzweiflung ihrer Bedürftigkeit nach Anerkennung ins Unerträgliche zu steigern. Estelle wendet sich hilfesuchend an Garcin, der sie aber zunächst mit Nichtbeachtung und Widerwillen straft.
Ines zeigt sich als grausame Person, die als erste erkennt, dass das Einander-Ausgeliefertsein ohne Ausweg und Unterbrechung die Hölle darstellt. Sie dominiert die Szenerie durch ihr Bewusstsein, grausam und verdammt zu sein. Sie wird weder von Reue noch Angst geplagt und findet Gefallen daran, Garcin und Estelle zu beleidigen und zu quälen.
Die Protagonisten beginnen nun, sich ihren Todeszeitpunkt und ihre Todesursache mitzuteilen sowie im darauffolgenden die Gründe ihrer Verdammnis. Dabei geben Garcin und Estelle zunächst vor, sich keinerlei Schuld bewusst zu sein und stellen sich selbst in ein durchweg positives Licht. Sie malen das Bild, dass sich andere von ihnen machen sollen großzügig aus. Garcin ist ein mutiger Pazifist, Estelle eine treusorgende Schwester. Estelle klammert sich an dieses positive Selbstbild so sehr, dass sie von einer Verwechslung spricht.
Im Folgenden jedoch entreißen sich die Eingesperrten ihre Sebstlügen sukzessive durch Drohungen, Druck und Missachtung der Grenzen des anderen. Dabei ergeben sich stets neue Allianzen, eine stabiles Beziehungsgefüge vermag nicht zu entstehen, eine unheilvolle Ménage á trois dreht sich gleich einem Spinnrad in einem Teufelskreis, einer Folge sich gegenseitig bedingender Abhängigkeiten und Verletzungen.
Der Zuschauer erfährt so, dass Ines die Frau ihres Cousins, Florence, durch Manipulation ihrer Wahrnehmung von ihrem Mann entfremdet hat, um sie an sich zu binden und nach dem Tod des Mannes durch ein Straßenbahnunglück, Florence überzeugt hat, sie seien beide für seinen Tod verantwortlich und hätten ihn umgebracht. Florence drehte darauf in auswegloser psychischer Not den Gashahn auf und tötete so sich selbst und Ines. In halhhalluzinativen Einblicken in die Geschehnisse auf der Erde, erscheint ihr immer nur das gemeinsame Schlafzimmer, dunkel und leer, welches zunächst von der Polizei verplombt, nun zur Vermietung steht.
Garcin entlarvt sich als Tyrann, der seine Frau vernachlässigt, gedemütigt und missachtet hat, ihr gegenüber keinerlei Achtung, Mitgefühl oder Respekt, keines liebevollen Wortes fähig war und dazu feige vor seiner Einberufung geflohen ist, was ihn, der sich als Held verstehen möchte, faktisch zu einem Feigling degradiert. Als Deserteur aufgegriffen wurde er durch ein Erschießungskommando hingerichtet. Ines lacht Garcin aus und hält ihm seine Feigheit vor.
Estelle schließlich, die aus finanziellen Erwägungen einen alten Mann geheiratet hat, dessen finanzielle Lage die Pflege ihres kranken Bruders sicherstellte, hat diesen mit einem jungen mittellosen Tänzer betrogen. In Erwartung eines Kindes dieses jungen Mannes setzte sie sich für fünf Monate in die Schweiz ab, um die Schwangerschaft vor ihrem Mann zu verbergen. Nach der Entbindung warf sie das Kind in Gegenwart des überglücklichen Vaters von einem Balkon in einen See, um es zu ertränken. Der junge Tänzer beging daraufhin Selbstmord, indem er sich ins Gesicht schoss.
Estelle findet sich in einen Tanzsaal versetzt, wo sie beobachten kann, wie ihre beste vollbusige Freundin einem glühenden Verehrer diese Geschichte zuflüstert. Wie von Sinnen tanzt sie taumelnd, voller Rachegelüste und dem Hass der Erkenntnis der eigenen Ungerührtheit angesichts ihrer Mordtat, immer noch abfällig über allen anderen lästernd.
Alle diese Geständnisse entrollen sich als Potpourri des Grauens vor dem Zuschauer. Estelle windet sich erfüllt von Selbsthass um Vergebung bittend und wirft sich Garcin in die Arme um einen Rest von Selbstbestätigung durch die Bewunderung eines Mannes zu finden. worauf Garcin in grob zärtlicher Weise eingeht, um sich widerum seiner Männlichkeit zu versichern. Dieses beginnende Liebesspiel wird aber einerseits durch aus der Erdenwirklichkeit aufblitzende Szenen, in denen Garcin seine Arbeitskollegen über ihn lästern hört unterbrochen sowie von Ines, die von Eifersucht ergriffen mit ihrer demonstrativen Anwesenheit die Innigkeit zweisamer Intimität zerstört.
Schließlich schwinden die Illusionen über das eigene Selbst, die hypnotisch wirkenden Einblicke in die Geschehnisse auf der Erde, in die irdische Lebenswirklichkeit reißen ab. Den Personen ist alles, was sie kannten genommen, alles was ihnen lieb war verloren, verdorben und verbraucht. So befinden sich die Personae all ihrer Selbstlügen entkleidet weiterhin in einem circulus vitiosus, dem sie nicht zu entkommen vermögen.
Garcin der zwischen den lasziven Annäherungen Estelles und den kaltblütigen Anklagen und der Geringschätzung Ines‘ zerrieben wird, hämmert schließlich wie von Sinnen gegen die Tür. Als diese wieder aller Erwartung aufspringt sind die drei wie paralysiert und vermögen wie mit unsichtbaren Ketten aneinander gefesselt nicht, den Raum zu verlassen. Von draußen dringt eine extreme Hitze in den Raum und unfähig einen möglichen Ausweg zu wählen schließt Garcin die Tür wieder.
Was Ines schon zu Anfang bewusst, wird Garcin nun erst vollkommen klar, sie sind sich gegenseitig als Folterknechte bestimmt und er konstatiert, „die Hölle, das sind die andern.“ Nach dieser Ernüchterung und einem letzten Versuch Estelles eine Liebesbeziehung mit Garcin zu etablieren, indem sie Ines ersticht, was scheitern muss, da diese schon tot ist, brechen die drei in Gelächter aus und Garcin läutet mit den Worten „Also, machen wir weiter“ eine weitere Runde auf dem gemeinsamen Teufelsrad ein.
Der Klassiker von Jean-Paul Sartre wird vom Ensemble um Regisseur Cedric Fein mit viel Engagement und Verve umgesetzt. Wobei die einzelnen Charaktere und ihre unterschiedlichen Persönlichkeiten eine sehr überzeugende Darstellung finden. Da ist Garcin, ein ganzer Kerl, der nach der Anerkennung der intellektuellen Ines lechzt, Ines die ihrerseits ungerührt analytisch Estelle für sich gewinnen möchte und Estelle, die ihr Selbst nur in Abhängigkeit von anderen zu finden vermag und Garcin zu verführen versucht. Die Beklemmung dieser bedrückenden Situation zieht sich durch die gesamte Inszenierung, die dennoch durch hohes Tempo keine Ermüdung aufkommen lässt. Die Qualen, die die Figuren einander durch Verletzungen, Spott, Druck, Drohungen, aber auch die Aufdringlichkeit erotisch amouröser Angebote bereiten, lassen den Zuschauer dabei erschauern und man wird gewahr, das die Hölle, der Tod hier nur symbolisch stehen für verfahrene, disharmonische Beziehungen, in denen der einzelne stets reduziert bleibt auf das Bild, welches andere sich von ihm machen und sich nicht in der Lage sieht, den Teufelskreis aus Erwartung und Enttäuschung, der Suche nach Anerkennung und verletztem Stolz zu durchbrechen.
Geschlossene Gesellschaft steht noch bis zum 7. August auf dem Spielplan des ThOP. Informationen zum Stück und zum Ticketkauf gibt es auf www.theater-im-op.de |