Noch rauscht die Brandung zu den bewegenden Bildern von Wellenbergen. Sobald die Tonspur verstummt, zeichnet sich auf der DT-2 Bühne eine starre blaue Mauer ab, an der sich gelegentlich eine Klappe für Fluchtwege und Refugien öffnet. Hoch über dem Wellenkamm glitzern die Buchstaben, die das Wort Geister bilden, bis sie fast haltlos nur noch an Schnüren hängen, wenn sich mit dem Schimmelreiter eine düstere Prophezeiung erfüllt.
Es sind stürmische und bestürmende Bilder, die Daniel Foerster in seiner Inszenierung mit Theodor Storms Novelle Der Schimmelreiter verbindet. Da ist zum einen die Geschichte des jungen Hauke Haien (Lukas Beeler), der diese Dorfgemeinschaft, die ihn so abschätzig betrachtet nur aushält, weil er eine Vision hat. Als Deichgraf könnte er einen Schutzwall bauen, der jeder Sturmflut trotzt, und sich als angesehenes Mitglied der Dorfgemeinschaft zwischen den Lästerzungen endlich ebenso behaupten wie zwischen den Stimmen, die eifersüchtig auf jede Veränderung der Lebensverhältnisse reagieren, über die sie nicht selbst entscheiden können. Der Plan geht nur scheinbar auf, nachdem ihn Ole Peters (Gabriel von Berlepsch), der langjährige Großknecht des Alten Deichgrafen, vergeblich drangsaliert hat – obwohl dessen Tochter Elke (Nathalie Thiede) ihm selbst dann noch zur Seite steht, wenn seine Vision mehr und mehr von Größenwahn beherrscht wird und von einer selbstzerstörerischen Wut.
Die zweite Spur, die Foersters Inszenierung aufnimmt, ist die der Naturstimmen, die mit dem Aberglauben der Dorfbewohner und den überlieferten Mythen und den Erzählungen der alten Dorfmagd Trine Jans (Gerd Zinck) immer wieder verschmelzen. Sie fürchten die geisterhafte Erscheinung eines Schimmelreiters wie ein teuflisches Omen und auch die Zeichen einer gespenstisch anmutenden Wasserwelt, die sich im Mondlicht spiegelt, während sie diesen ehrgeizigen Deichgrafen belauern.
Auf der Bühne ist auch die Erzählerstimme, die in Theodor Storms Novelle die Chronik der Ereignisse begleitet, von Anfang an präsent. Zunächst in den düsteren Prophezeiungen, die Bettina Grahs für die Dorfbewohner ankündigt, die dann ebenfalls immer wieder als kommentierende Chronisten auch in wechselnden Rollen in die Konflikte um den ehrgeizigen Deichbauer einmischen. Auf der Wellenmauer von Bühnenbildnerin Mariam Haas feixt eine verschworene Gemeinschaft über diesen Jungen, der seine Zeit mit Messungen und Berechnungen verbringt und sich vom Großknecht malträtieren lässt, bis seine Talente beim alten Deichgrafen Anerkennung finden. Fratzenhaft verziehen sich die Gesichter in ihrem Liegestuhlreservat am Strand beim Anblick dieses Aufsteigers, der mit seiner Heirat auch über den entsprechenden Grundbesitz verfügt, um sein Amt überhaupt antreten zu können. Auch beim Bau seiner monströsen Konstruktion wird gegeifert und gelästert und nach Wegen gesucht, dieses ebenso unheimliche Unternehmen auch mit den Stimmen der geisterhaften Naturmythen doch noch zu sabotieren.
Nebelschwaden und Klangströme fluten den Bühnenraum bei diesem Versuch Hauke Haiens, mit den Wassermassen ein Stück Natur zu domestizieren, das sich nicht beherrschen lässt. Auch wenn Storm in seiner Novelle vor allem die Folgen der zunehmenden Industrialisierung mit der Verwüstung von Landstrichen und Lebensräumen im Blick hatte, sind die Folgen des Klimawandels an diesem Abend natürlich stets präsent. Dennoch haben bei diesem Schimmelreiter nicht nur Ehrgeiz, Größenwahn und Hybris eine vernichtende Wirkung. Die Gestalt, die matschige Klumpen prüft und zerreibt, Wasserläufe versiegeln will und hinter ihrem Mauerwerk sicherende Erdhügel aufschichten lässt, nimmt ihre Umwelt nicht wahr und wie sie auch wetterwendisch auf all die Zumutungen reagiert, denen sie ausgesetzt ist. Sie hat sich mit ihren Berechnungen nachhaltig verspekuliert.
Der Schimmelreiter von Theodor Storm hatte am 23. September 2021 Premiere. Weitere Vorstellungen stehen für den 5., 13. und 19. Oktober auf dem Spielplan. |
Hören Sie auch das Gespräch mit Daniel Foerster in unserem Podcast Szenenwechsel.