Am Wochenende des Totensonntags gibt es in der St. Johanniskirche Göttingen kein Requiem in der Kirche zu hören. Vielmehr war am Vorabend das Göttinger Symphonieorchester mit einem weltlichen Programm zu Gast. Dirigent war Bernd Eberhardt.
Damit zeigt die Kirchengemeinde St. Johannis in Göttingen, dass sie ihren „Aufbruch“ und die Öffnung als Bürgerkirche und Veranstaltungsraum ernst nimmt und setzt gleich zu Beginn markante Ausrufezeichen. Eigentlich sogar vor Beginn, denn die Eröffnung findet am Wochenende des 1. Advent statt. Aber schon vorher gab es „Preview-Konzerte“, der Göttinger Literaturherbst war zu Gast – und jetzt eben das GSO.
Auf dem Programm stand selten gespielte Orchestermusik: die Symphonie Nr. 1 D-Dur D82 von Franz Schubert sowie die Symphonie Nr. 1 c-Moll op 32 von Louise Farrenc.
Schubert schrieb seine 1. Symphonie im Alter von 16 Jahren. Das Stück wird deshalb eindeutig als Jugendwerk klassifiziert. Schubert folgt hier auf der einen Seite seinen großen Vorbildern Beethoven, Haydn und vor allem Mozart. Auf der anderen Seite geht er recht selbstbewusst eigene Wege und trifft vor allem im langsamen Satz den romanzenhaften, innigen und gesanglichen Ton, der für ihn so typisch werden sollte. Gleichwohl spricht Bernd Eberhardt vor dem Publikum von einigen „Unverhältnismäßigkeiten“. So werden Aufführungen dieser Symphonie häufig schon am Anfang gekürzt, weil Schubert hier mit großer Kraft „das Orchester durch alle Tonarten jagt“. Auch sei der Bläsersatz zum Teil recht massiv – aber dieses „Ausprobieren“ stünde doch einem so jungen Menschen zu. Und genau diese Einstellung setzte Eberhardt mit den Musiker:innen des GSO um: mozart’sche Leichtigkeit, Kraftentfaltung wie bei Beethoven, überraschende Phrasen wie bei Haydn – und immer wieder Schubert. Eberhardt gestaltete die Musik vielseitig, klar differenziert und quicklebendig.
Dabei wurde die Akustik in der neu renovierten Kirche stark auf die Probe gestellt. Noch fehlen Elemente wie die neue Bestuhlung. So „knallte“ die Musik sehr direkt auf die Ohren der zahlreichen Zuhörer:innen. Und nach dem Schlussakkord konnte der überaus lange Nachhall beeindrucken – für die Musiker:innen im Orchester durchaus eine Herausforderung.
Im zweiten Teil des Konzerts gab es eine komplette Neuentdeckung. Musik von der französischen Komponistin Louise Farrenc (1804–1875) haben auch die meisten Mitglieder des GSO noch nicht gespielt. Dabei ist ihre Musik von hoher Qualität, wie der Abend in der Johanniskirche bewies. Romantische Passagen wie zum Beispiel in den Celli oder der Klarinette wechselten mit dramatischen Orchesterschlägen – bei denen wohl ebenfalls Beethoven Pate stand.
Am Ende gab es viel Applaus für das Orchester und seinen Gastdirigenten, auch Bravo-Rufe waren zu hören.
Das Konzert war nicht nur der Konzertauftakt in der neuen Johanniskirche, sondern auch der Start der GSO-Reihe „Kulturkirche Klassik“. Zwei Anfänge sozusagen – und zwei sinfonische Erstlingswerke waren ebenfalls ein Anfang der beiden Komponist:innen. Bemerkenswert viel Anfang zum Ende des Kirchenjahres und ein starkes Signal zum Aufbruch in St. Johannis.