Im Jungen Theater feierte Fräulein Julie von August Strindberg Premiere. Regie führte Mario Holetzeck, auf der Bühne sind Dorothea Röger, Fabienne Elisabeth Baumann und Michael Johannes Mayer zu sehen.
Eigentlich ist alles wie immer. Die Dame des Hauses lebt ihre Launen aus. Die Dienerschaft hat gefälligst zu parieren. In dieser Mitsommernacht spitzt sich die angespannte Atmosphäre zu, als sei die Zeit reif für ein Seelenmassaker. Das erkundet Mario Holetzeck am Jungen Theater mit August Strindbergs Tragödie Fräulein Julie. Mit den Sehnsüchten wollen auch die Obsessionen ausgelebt werden, die verborgenen Bösartigkeiten und die Wut über die Verhältnisse, denen die Figuren entkommen möchten. Sie dürfen dabei maßlos wütend, berechnend und verletzend sein – und sind dabei so verwundbar.
Der Skandal, den Strindberg mit seinem 1888 uraufgeführten Stück provozierte, ist heute kein Thema mehr. Es sei denn, die Regenbogenpresse möchte das sexuelle Intermezzo einer jungen Adeligen mit ihrem Diener schlagzeilenträchtig ausschlachten. Anders sieht es aus mit gegenwärtigen gesellschaftlichen Hierarchien, diktiert von Wohlstand und Status, den daraus resultierenden Abhängigkeitsverhältnissen und wie sich diese auch in männlichen und weiblichen Rollenmustern widerspiegeln. Mario Holetzeck verknüpft sie in seiner Textfassung mit dem nächtlichen Beziehungsduell zwischen Julie (Dorothea Röger) und Jean (Michael Johannes Mayer). Er verwickelt auch Jeans Freundin Kristin (Fabienne Elisabeth Baumann) in das zerstörerische Kräftemessen um Gefühle, Ansprüche und karrieristische Ambitionen.
Jeans Zukunftspläne haben verführerische Wirkung. Da kann sich auch Kristin vorstellen, mit ihm eine Edelherberge in der Schweiz zu eröffnen, anstatt sich um die Designerrobe von Fräulein Juliezu kümmern. Jean ist noch dem Hausherrn zu Diensten ist, der als Dirigent beschrieben wird und sein nächstes Konzert plant. Unter der schrägen Spielfläche poltert es gewaltig, wenn sich Vater und Tochter wüst beschimpfen, bis eine Bodenplatte aufgeschlagen wird. Das Spiel um alles oder nichts kann beginnen.
Dorothea Röger malträtiert den Flügel mit klassischen Motiven und wütenden Dissonanzen. Jean und Kristin sind als Clowns mit roten Nasen für angemessenen Beifall zuständig, den sie auch genüsslich parodieren. Die Gerüchte um Julie haben bereits die Runde gemacht: dass ihre Verlobung geplatzt ist und dass sie den Gärtner den der Reitpeitsche erniedrigt hat. Für exzessive Partystimmung zur Mittsommernacht hat Jean zu Diensten zu sein und das nicht nur für einen Tanz und einen One-Night-Stand, sondern auch für den Ausstieg aus der ewig gleichen Wohlstands- und Konsumenklave, den Julie mit allen Mitteln herbeisehnt. Ihr Objekt der Begierde ist für keine Demütigung zu schade. Schließlich lockt die Aussicht auf eine Geliebte mit Status, die als attraktive Hotelbesitzerin mit einem ansehnlichen Portefeuille umso mehr in Frage kommt. Und was Strategien mit erniedrigender Wirkung angeht, ist Julie – anders als Kristin – auch das perfekte Opferlamm.
Auf der schrägen Rampe gibt es kein Halten bei diesen obsessiven Kämpfen, in denen das Schauspielteam sein Publikum leidenschaftlich exzessiv bestürmt. Egal ob es um den Hunger nach Liebe geht, um pure Lust oder um diese Gier nach Macht und Erfolg, der Aufruhr der Emotionen geht nahe. Er richtet sich zugleich gegen die Verhältnisse, selbst wenn die mühsamen Ausbruchsversuche und ihre befreiende Wirkung sich am Ende mörderisch zuspitzen.
Regisseur Mario Holetzeck verweigert Strindbergs Fräulein Julie die Flucht in den Selbstmord. Er stellt ihr lieber mit Kristin eine Fluchthelferin zur Seite, die Jeans verräterischen Treuebruch durchschaut hat, Auch spricht es sich rum, dass er mit seinen Zukunftsplänen für ein „Hotel Sehnsucht“ seine nächtliche Geliebte genauso verführen wollte. Nun wird ihm auch noch die erhoffte Starthilfe verweigert. Nicht jedoch die endgültige Niederlage und eine maßlose Wut, die dann mit Gewalt verstummt.