Nicholas Milton, Dirigent des Göttinger Symphonieorchesters (GSO), richtete sich zu Beginn der gestrigen Matinee unter dem Titel „Zoom and Zip“ freudig an das Publikum im Saal des Deutschen Theaters. Viele Orchester hätten aktuell Probleme, genug Publikum zu gewinnen, sagt er – in Göttingen sei das Gegenteil der Fall, hier seien kaum genug Plätze für alle Interessierten vorhanden. Der Saal ist in der Tat bis unter das Dach gefüllt mit Zuhörenden, welche in diesem Konzert einen Nachwuchskünstler der Extraklasse erleben durften.
Den Auftakt des Vormittags geben die Streicher des GSO mit dem titelgebenden Stück
„Zoom and Zip“ der usbekisch-australischen Komponistin Elena Kats-Chernin. Es handelt sich um die deutsche Erstaufführung, 2021 war bereits eine Aufnahme ohne Publikum bei NDR Kultur zu hören gewesen. Zuerst stimmt Dirigent Milton das Publikum auf die Musik ein: Wir könnten uns auf ungewöhnliche Klänge freuen und sollten genau hinhören, denn möglicherweise seien im Verlauf des Stückes sogar Engelsstimmen hörbar. Und tatsächlich überzeugt die Komposition mit einer mitreißenden Rhythmik und großer Dramatik, welche sich unter anderem aus den atonalen Ausschlägen um die gezeichneten Melodien ergibt. Kats-Chernin verarbeitet in dem Stück verschiedene Erinnerungen aus ihrer Kindheit, auch mit der Absicht „harmonische Situationen zu brechen und Dinge etwas ungewöhnlich zu machen“. Dies wird deutlich: Gezupfte Off-Beats, Klänge aus springenden Geigenbögen und die angekündigten Engelstimmen in Form eines plötzlichen Männergesanges aus dem Orchester selbst bieten immer wieder überraschende Momente.
Es folgt das unstrittige Highlight des Vormittags. Die Bühne betritt Christian Li, 14 Jahre alt, Violinist aus Australien. Bereits 2018 wurde er im Alter von 10 Jahren der jüngste Sieger aller Zeiten der Yehudi Menuhin International Competition for Young Violinists.
Bevor Dirigent Milton das nun folgende Konzert für Violine und Orchester in e-Moll anzählt, erklärt er, dass wir von dem heutigen Konzert noch unseren Enkelkindern erzählen werden – der Auftritt des Künstlers wird dieser Ansprache mehr als gerecht. Bis auf die Körpergröße weist kaum etwas auf sein Alter hin: Das Instrument, eine „Paulsen“- Violine des italienischen Geigenbauers Guarneri aus dem Jahr 1737, hat Li fest im Griff, die Interpretation des berühmten Mendelssohn-Konzertes ist präzise und voller Gefühl. Man sieht dem jungen Mann die pure Spielfreude an, Zurückhaltung ist nur selten zu spüren, zum Beispiel, wenn der Solist den beeindruckend warmen Klängen der Solo-Oboe Raum gibt. Den ersten Satz gestaltet Li feurig und mit klassisch hochromantischem Rubato, den zweiten angenehm beruhigend und leidenschaftlich. Nach einem geradezu kindlich-frech interpretierten dritten Satz sitzt Li ein verdientermaßen begeistertes Publikum gegenüber, das seine mehr als reife Leistung mit langanhaltendem Applaus und Jubel dotiert. Kaum auszudenken, was ein solches Ausnahmetalent in den kommenden Jahren noch aus seinem Instrument herauszuholen vermag. Wir können uns jetzt schon darauf freuen, es hören zu dürfen.
Nach der Pause erfreut das GSO das Publikum mit Ludwig van Beethovens 7. Symphonie in a-Dur (op. 92). Dabei überzeugt das Orchester mit einem Klang, der vom goldenen Herbstwetter inspiriert zu sein scheint. Auch der wohl bekannteste Satz des Stückes, das Allegretto, zeichnet sich durch eine innige Wärme aus, die Wirkung eines „Trauermarsches“, wie sie auch im Programmheft benannt wird, bleibt eher aus. Die große Energie des Dirigenten und des Orchesters wird besonders im dritten und vierten Satz deutlich, besonders während letzterem lassen sich im Publikum kleine, fast tanzende Bewegungen ausmachen. Der erste Beifall ist schon zu hören, bevor der letzte Ton der Symphonie verklungen ist.
Die nächste Matinee unter dem Titel „House Music“ findet am 29. Januar 2023, 11:30 Uhr wieder im Deutschen Theater Göttingen statt. Auf dem Programm stehen neben einem weiteren Stück von Elena Kats-Chernin („Mythic“, 2006) die Erstaufführung des Stückes „House Music“ von Matthew Hindson sowie die Symphonie Nr. 6 d-Dur (op. 60) von Antonín Dvořák.