Einen langen Tag hatten Anna Torge (Mandoline) und Michael Freimuth (Theorbe). Bereits um 5 Uhr morgens traten die beiden zum Sunrise-Konzert am Seeburger See auf. Nachmittags gastierten beide noch einmal im Café George.
Der Flugbetrieb am Seeburger See hält sich nicht an Töne und Taktzeiten. Erst recht nicht in den Morgenstunden bei Sonnenaufgang, wenn die Wolkenwand am gegenüberliegenden Ufer allmählich den Blick auf die Landschaft preisgibt. Munter und guter Dinge zwitschert ein geflügelter Chor durch die gläserne Panoramawand des Restaurants am Reiterhof Wellenreiter zum Sunrise-Konzertbei den Internationalen Händel Festspielen. Ebenso munter und guter Dinge sind die Frühaufsteher, die hier um 5 Uhr morgens ein musikalisches Geschenk mit Mandolinen- und Theorbenklängen bekommen. Und wenn dann auch noch ein Storch durch die Open-Air-Kulisse gleitet, gibt es zur Musik von Domenico Scarlatti, Abbate Ranieri Capponi und Georg Friedrich Händel auch noch sein seltenes Naturschauspiel geschenkt.
Bei keiner der Sonaten, die Anna Torge (Mandoline) und Michael Freimuth (Theorbe) für ihr Sunshine-Konzert abgestimmt haben, wird die Mandoline als Soloinstrument genannt, sondern wenn überhaupt die Violine. Und trotzdem scheinen sie wie geschaffen für den Dialog der beiden Saiteninstrumente, in dem die Melodielinien und Verzierungen immer wieder rhythmisch pulsieren. Nicht nur seine 555 Cembalo-Sonaten hatte Domenico Scarlatti mit musikalischen Landschaften in Portugal und Spanien verwebt, nachdem er aus Rom zunächst als Königlicher Kapellmeister nach Lissabon berufen wurde und dann für die spanische Köngin komponierte und lehrte. Sie sind auch in seinen mehrstimmigen Sonaten stets präsent. Anna Torge lässt ihre Mandoline die kraftvollen Tanzschritte atmen, wie sie von Castagnetten und Trommeln befeuert werden, die Scarlattis Sonaten perkussiv durchdringen und von Michael Freimuth in eleganten stolzen Continuofarben begleitet und kommentiert werden. Auch von einem Manuskriptfund berichtet das Saiten-Duo, bei dem der Komponist der Mandoline sogar die Solostimme mit der Begleitung durch das Cembalo gewidmet hatte und dass die italienischen Zeitgenossen Scarlattis auch oft und gern für die neapolitanische Mandoline komponiert hatten.
In den Bearbeitungen der Sonaten entfalteten die gezupften Saiten auf den Spuren der Violine auch ihren melodischen Zauber in perlenden Läufen und beschwingenden Akkorden und in den lyrischen Motiven, wie sie in den langsamen Sätzen bei Händel ebenso anklingen wie in der Sonata da camera Nr. 8 von Abbate Ranieri Capponi.
Eine filigrane Klangwelt erkunden Anna Torge und Michael Freimuth mit Scarlattis g-Moll Sonate, auf die der Musiker dann seine Barockgitarre einstimmt. Und wieder funkeln die tänzerischen Elemente, die auch Händel in seine Sonaten einfließen ließ. Draußen zwitschern dann die Vögel um so munterer, wenn Mandoline und Theorbe den Sonnenaufgang mit einem perkussiven Feuerwerk von Domenico Scarlatti begrüßen. Als ob es an der Zeit sei, jetzt einen luftigen Fandango zu tanzen und sich von den Energieströmen der Instrumente davon tragen zu lassen.
Eine Kostprobe von diesem Feuerwerk bekommt auch das Publikum am Nachmittag
zum Café George im Liesels am Markt, verbunden mit weiteren musikalischen Solostreifzügen für die Mandoline im Dialog mit Theorbe und Barockgitarre.
Das Festivalmotto Neue Horizonte möchte der geschäftsführende Festivalintendant Jochen Schäfsmeier auch im Gespräch mit dem musikalisch frühsportlichen Konzert-Duo erkunden. Die Besetzung Mandoline – Theorbe ist ein Novum bei den Händel-Festspielen, wie überhaupt die Mandoline erst in den letzten Jahren wieder eine Rolle im Konzertleben spielt. Anna Torge verweist dabei auf ihren Musikerkollegen Avi Avital, der das Instrument wieder bekannter gemacht habe und in Göttingen nicht nur für einen Sunrise-Abstecher zu Gast war. Beflügelnde Wirkung hatte für sie auch die musikalische Forschung, die sich ihrem Instrument wieder stärker widmete. Die Suche nach Originalwerken für die Mandoline geht weiter und die nach Sonaten wie den Werken von Scarlatti und Händel, sei es für Oboe, Violine oder Flöte und Bass continuo. Nach Stücken, die zu ihren Instrumenten passen, würden sie Ausschau halten, berichtet Michael Freimuth und dass sie viel Bewegung versprechen müssten.
Das vermögen jetzt auch die Saitentänze bei Kaffee und Kuchen, bei denen die Musikerin von einer Zuhörerin mit den Worten begrüßt wurde „endlich wieder eine Mandoline!“.