In dem Theaterstück »Alice – Spiel um dein Leben« geht es um die jüdische Pianistin Alice Herz-Sommer (1903–2014), die im KZ Theresienstadt über 100 Konzerte geben musste.
Das Schicksal dieser Frau hat die in Göttingen geborene und aufgewachsene Schauspielerin Natalie O’Hara so fasziniert, dass sie mit der deutsch-französischen Autorin Kim Langner beschlossen hat, die Geschichte von Alice Herz-Sommer in einer Bühnenfassung zu erzählen. Entstanden ist „Eine wahre Geschichte über die Kraft der Musik“, wie es im Untertitel heißt.
Nach der Uraufführung im Oktober 2022 steht das Stück noch heute auf dem Spielplan in den Hamburger Kammerspielen, nun hat Natalie O’Hara mit der Produktion ihre Geburtsstadt besucht. Schon Wochen vor der Vorstellung war das Deutsche Theater ausverkauft. Im Publikum saßen zahlreiche Freundinnen und Freunde der Familie, Weggefährtinnen und -gefährten O’Haras und auch Weichensteller: so waren zu Gast Diakon Wolfgang Ziehe, in dessen Jugendtheatergruppe die 16jährige Natalie erstmals Bühnenluft geschnuppert hatte. Und auch Christiane Breuer, bei der sie von ihrem siebten Lebensjahr an bis zum Abitur Klavierunterricht hatte. „Es war immer ein Traum von Natalie, einmal eine Pianistin auf der Bühne zu spielen“, erzählte Ehepaar Breuer am Rande der Vorstellung.
Auf der Bühne stehen nur wenige Requisiten. Im Mittelpunkt steht der große Bechstein-Flügel, an dem O’Hara immer wieder Platz nimmt. Es erklingen im Laufe des Abends Werke von Ludwig van Beethoven (»Appassionata«), Chopin (cis-Moll Walzer), Gershwin (»I got rhythm«), Bach (aus dem »Wohltemperierten Klavier«), Schubert (Sonate B-Dur) oder Debussy (»Clair de Lune«). Das sind wahrlich keine Stücke für Anfänger – Natalie O’Hara beherrscht nicht nur technisch bravourös das anspruchsvolle Programm, sondern sorgt in ihrer Interpretation für so manchen Gänsehautmoment.
In ihren Recherchen zum Stück habe sie auch mit einer späteren Schülerin von Alice Herz-Sommer gesprochen und erfahren, wie ihre Lehrerin die Chopin-Ballade interpretierte, verriet O‘Hara in einem Gespräch mit Michael Schäfer, das im Göttinger Tageblatt erschienen ist.
Das Klavierspiel der Schauspielerin war auch deshalb bemerkenswert, weil es sich bei »Alice Spiel um dein Leben« um ein Ein-Personen-Stück handelt. Natalie O’Hara stand also zwei Stunden allein auf der Bühne, wechselte in rasantem Tempo die Rollen aus dem Umfeld von Alice wie ihren Sohn, ihre kranke Mutter, ihre Schwester, ihren Mann, Kommandanten und zahlreiche andere Figuren – und musste dann die innere Ruhe für ausdrucksvolles Klavierspielen haben.
Die beschriebenen und gespielten Szenen waren immer sehr kurz, die Schauspielerin musste innerhalb von wenigen Sekunden deutlich machen, welche Rolle sie gerade einnahm. Das machte Natalie O’Hara bravourös, war aber auch für das Publikum eine Herausforderung. Das Stück ist nicht nur facettenreich, sondern auch ein wenig atemlos. Auch fehlen im Text die Momente der Reflexion. Gerade das wäre sehr hilfreich gewesen, um sich der Person, um die sich alles im Stück dreht – Alice Herz-Sommer – zu nähern. Der im Programmzettel beschriebene „Optimismus und ihre Menschenliebe, die sie sich trotz ihres schweren Schicksals bewahrte, bewegt und inspiriert nachhaltig,“ lässt sich nur erahnen. Erst ganz am Ende werden Gespräche mit der hoch betagten Alice Herz-Sommer auf die Leinwand projiziert, die diese bemerkenswerte Person direkt nahebringen und somit einen Einblick in die Persönlichkeit geben.
Letztlich sind es die Klavierstücke, die im Stück für gewisse Ruhemomente und ein Innehalten sorgen. „Ihr müsst nicht mir danken, sondern Chopin“, spricht Natalie O’Hara alias Alice Herz-Sommer.
Das Göttinger Publikum dankte vor allem Natalie O’Hara enthusiastisch, schon kurz nach Beginn des frenetischen Beifalls im Stehen.