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Ein Trümmerfeld der Verluste

»Der Graf von Monte Christo« in Bad Gandedrsheim | © Photo: Julia Lormis

Die gekrümmte Gestalt auf der schwarzen Plattform hat sich nach unendlich langer Zeit wieder aufgerichtet. Was sie später antreiben wird, ist die bittere Erkenntnis, „ich bin kein Mensch mehr“, die schon bald ihre neue Existenz als Leben als Graf von Monte Christo bestimmen wird. Der will nur noch Rache nehmen an all den vermeintlichen Freunden, Neidern und Intriganten, die damals dem jungen Edmond Dantès sein Leben verweigerten. Es ist ein beklemmendes Schauspiel, das Bruno Klimek mit der Geschichte des Grafen von Monte Christo zur Eröffnung der Domfestspiele in Szene gesetzt hat. Aus dem tragischen Helden wird ein bösartiger Held, der als Sinnsucher versagt und im Grunde sein Leben erneut verliert.

Die Aussichten könnten nicht besser sein für den jungen Schiffsoffizier, der seinem Reeder die Fracht rettet, zum Kapitän befördert wird und mit seiner Verlobten Mercédès Zukunftspläne schmiedet. Fast naiv mutet Paul Schaeffers Edmond Dantès, wie er sich an Versprechen gebunden fühlt und auf die Aufrichtigkeit seiner Mitmenschen vertraut. Hinter seinem Rücken lauern bereits die Neider wie Danglars (Ben Ossen), der sich auf Tricks und Tücken und Verdächtigungen versteht und in Fernand (Dominik Müller) auch einen willigen Zuträger findet. Der sieht seine Chancen um die Gunst der schönen Mercédès (Miriam Schwan) steigen, wenn der unliebsame Konkurrent mit der „Visage eines braven Trottels“ des Feldes verwiesen werden kann. Als ewiger Abzocker wird Calderousse (Ellen Kärcher) die Gunst der Stunde nutzen und dem Freund nicht zu Seite stehen, wenn jetzt ein vermeintlich anonymer Brief kursiert und Edmond Dantès als Landesverräter verdächtigt wird. Ganz vitale Interessen hat auch Villefort (Bas Timmers) als ermittelnder Staatsanwalt, dass der vermeintliche Verräter ohne großes Aufsehen von der Bildfläche verschwindet und seine politischen Seilschaften nicht enttarnt werden. So kann er kann sich weiterhin erfolgreich bei Napoléons königlichem Nachfolger (Frank Bahrenberg) profilieren, während die Gerüchteküche brodelt.

Es sind oft nur kurze Wortwechsel, in denen die Figuren als Karrieristen und Machtspekulanten die schwarze Plattform umkreisen, Absprachen treffen und Strategien verhandeln und das auch ganz selbstbewusst zur Schau stellen. Im Eingangsportal markieren Ferdinand von Seebach am E-Piano und Stephan Genze am Schlagzeug das Geflecht an verräterischen Bekundungen dann mit. musikalischen Zeichen. Dabei werden die Zuschauer immer wieder unmittelbar angesprochen, doch bitte keine vorschnellen Urteile über sie zu treffen und sei es mit der Aufforderung „Versetzen sie sich in meine Lage“. Keiner der Intriganten und Spekulanten will sich für hinterhältige, erfolgversprechende Schachzüge rechtfertigen müssen und dass moralische Argumente und Gewissensnöte dabei keine Rolle spielen, weil sie nun mal die Gewinnrechnung schmälern. 

Mitgefühl und Empathie werden auch für den Gefangenen auf seiner schwarzen Kerkerinsel zu Fremdwörtern, wenn er nach Jahren des Wahnsinns und der Verzweiflung in seiner grenzenlosen Einsamkeit in dem Abbé (Guido Kleineidam) auf seinen Fluchthelfer trifft. So können die Rachepläne reifen, für die sich mit dem versierten Überlebenskämpfer Bertuccio (Rudi Klein) auch ein aufrichtiger Mitstreiter findet. 

Aus Neidern, eifersüchtigen Konkurrenten und Intriganten sind Bankdirektoren Politiker und saturierte Unternehmer geworden, die auch mit einem lukrativen Ehebündnis erfolgreich gepokert haben. Wieder brodelt die Gerüchteküche, für die jetzt am Kirchen Kirchenportal ein Chor von Gewinnspekulanten versammelt, tuschelt und abwägt, wie sich dieser ominöse Graf von Monte Christo möglichst profitabel vereinnahmen lässt. Fast groteske Züge nimmt das Minenspiel des verräterischen Quartetts an, das natürlich längt vergessen hat, dass es einen Menschen einfach mal so vernichtet hat. Fast hat es den Anschein, als ob sich die maßlose Gier mit ihren zerstörerischen Kräften ihre Gesichtszüge eingefärbt hat, während erneut um weitere Renditen und Statusgewinne gepokert wird und das vertraute Verstellungsspiel eine unerwartete Wendung nimmt. Sie alle haben neben Edmond Dantés noch weitere Leichen im Keller, die jetzt gnadenlos brutal abgehandelt werden. Wie 20 Jahre zuvor sind Zuträger, Helfershelfer, Gegner und Befürworter wieder zur Stelle, und das auch wieder mit den Stimmen von Lucille Marleen Mayr und Eva Paulina Loska, die wie viele Mitglieder des Schauspiel-Teams, die Chronologie der Ereignisse in mehreren Rollen forcieren. 

Das Bild des Gefangenen, der wie eine leblose Gliederpuppe in seinen Kerker verfrachtet wurde, wirkt nach. Fast mechanisch verfolgt Paul Schaeffer die existentielle Vernichtung seiner Feinde, ohne dass sich ein Gefühl von Erleichterung über die späte Rache einstellt. Ihm bleibt nur noch ein Trümmerfeld der Verluste, die in dieser schwarzen Plattform symbolisch nachhallen. Mit beklemmender Wirkung nach einem Theaterabend über die verräterische Macht der Worte in einem dramatischen Verstellungsspiel.

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Tina Fibiger

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