Willkommen im Kulturportal vom Kulturbüro Göttingen. 

Hier finden Sie Termine und Nachrichten aus dem Kulturleben der Region. Sie können sich einloggen oder neu registrieren, Ihr Abonnement abschließen oder verwalten, in dem Sie auf das Menü rechts klicken. (Die drei kleinen schwarzen Balken.)
Mit einem bezahlten Abonnement haben Sie Zugang zu allen Texten und Funktionen – und unterstützen die Arbeit des Kulturbüros.

Information
Kultursommer

Geistesblitze und Donnerwetter nach Starkregen

Information
Tina Teubner im Alten Rathaus
von Jan Hendrik Buchholz, erschienen am 14. August 2023
Tina Teubner | © Photo: Dirk Borm
Irgendwann kurz vor Ende der ersten Hälfte von »Ohne Dich war es immer so schön« schlendert Tina Teubner nach Bühnenrechts. Nimmt dort Platz, schaut unter sich. Entdeckt, als wäre es Strandgut, eine singende Säge. Ergreift sie und bringt sie, studierte Geigerin, die sie ist, zum Schwingen und Klingen. „Singende Säge“, fürwahr eine treffliche Kurzbeschreibung der, im wahrsten Sinne des Wortes, ausgezeichneten Musikkabarettisten – und nein: nicht der Qualität ihres Gesanges, über die noch zu sprechen sein wird.
„Singende Säge“ bringt auf den Punkt, was sie sich und ihrem Publikum, im besten Sinne des Wortes, zumutet: Sie kann sich eine Dreiviertelstunde mit der Sarkasmus-Säge einen (Um-)Weg durch das Dickicht der vermeintlich drängenden Fragen der Zeit und der aktuellen, scheinbar existentiellen gesellschaftspolitischen Debatten bahnen, nur um unvermutet die Axt an den Baum der Erkenntnis zu legen und ihn mit einem gewaltigen Humanismus-Hieb auf den Dickschädel ihres Publikums fallen zu lassen. Damit wäre auch schon alles gesagt. Nun ja, fast.

Die Vorzeichen sind alles andere als dankbar, unter denen Teubner und Ben Süverkrüp, ihr kongenialer Partner am Piano, am Samstag, 12.8.2023 auf die Bühne im Alten Rathaus Göttingen treten müssen: Ein sintflutartiger Regenguss hat ihre Gäste herein gespült, und wer nicht gerade wie ein begossener Pudel dreinblickt, der duftet vielleicht wie einer. Da heißt es, die Leute erst einmal warm zu spielen. „Warmspielen“, das heißt im Falle Tina Teubners: Publikumsbeschimpfung. Aber, stellt die selbsternannte „begnadete Melancholikerin“ von vornherein klar, lediglich im Sinne ihres professionellen Unterhaltungsauftrages. Sie hat ein Auge auf die Frisuren ihrer Gegenüber bzw. die zahlreichen missglückten Versuche, sich angesichts des Unwetters noch schnell „modische Weltläufigkeit hergetuckert“ zu haben. Stellt ganz unverblümt die Frage, wer heute eigentlich gern mit einem anderen Partner hier wäre. Und auch Süverkrüp bekommt sein Fett weg, noch bevor die erste Saite überhaupt schwingt: „Ben, holen wir Dich ins Boot, dann wissen die Leute gleich, wo die Schwachstelle ist.“ (Wobei, das muss – Erbsen zählend aber der Fairness halber – festgehalten werden, er sie gleich im zweiten Song des Abends Lügen straft, indem er sie in punkto Textsicherheit übertrifft und wieder in die Spur bringt.)

Dieses zärtliche Zusammenfalten des eigenen Manns am Klavier erinnert doch stark an die augenzwinkernde Arroganz, mit der sich Thomas Pigor regelmäßig an Benedikt Eichhorn abarbeitet und die sich bei den beiden Berliner Barden schon in den Programmtiteln niederschlägt: Immerhin darf, inzwischen schon in zehnter Auflage, Pigor singen, während Eichhorn begleiten muss. Überhaupt scheint Teubner, abseits der Säge, ein glückliches Händchen zu haben, wenn es darum geht, die Sprachschätze ihrer Kolleg:innen zu bergen. Von Hagen Rether etwa kennt man die Mischung aus lockerem Leiden, Lästern und Langeweile angesichts der Umstände, hinter denen letztlich, ätsch!, positives Pathos und Philanthropie hervorspringen. Und an Dieter Nuhr erinnert der Duktus. Leider. Gegen Zähne zeigen, zumal im Kabarett, ist nachgerade nichts zu sagen. Nur sollte man sie halt im entscheidenden Moment auseinander bekommen. Beim Sprechen. Und umso mehr beim Singen. Sonst werden Verschlusslaute und Endsilben, gerade mit zunehmendem Tempo, recht schnell die ersten Opfer. Dabei hängt man doch so an den Lippen, den Teubnerschen. Und dabei gibt es so viel Unerhörtes zu überhören.

Zum Beispiel ihr unmissverständliches Plädoyer für die Jugend von heute, das als klare Kampfansage gegen alles reaktionär Ewiggestrige wie eine Gewitterwolke im Raum klebt, ohne dass Begriffe wie Klimawandel, „Fridays for Future“ oder „Letzte Generation“ überhaupt gefallen sind. Oder den bereits erwähnten Baum der Erkenntnis, den sie begießt: das Chanson „Schuster bleib bei deinen Leisten“ mit seinen Zeilen „Was ist das für ein Leben das man abheften kann / was ist das für ein Leben das sich lochen lässt / was ist das für ein Leben das sich ohne zu murren / leidenschaftslos zwischen Pappdeckel presst.“ Ja, dieser Baum streckt seine Zweige wahrlich weit in die Pause hinein und spendet, mit Verlaub, noch auf dem Heimweg Schutz gegen Regen und Aufregen. Nein, sie kommen nicht unverdient, die zahlreichen Ehrungen für die Kleinkünstlerin, darunter gleich zweimal der deutsche Kleinkunstpreis (1999, 2010). Wenn es Tina Teubner nun noch gelänge, von der pipilangstrumpfschen Sachensuche (wer’s findet, darf’s behalten) zur eigenen Kunst-Form bzw. -Figur zu finden – jeder Abend mit ihr wäre genial, wo er momentan „lediglich“ generös ist. Wie bürsteten sich Tocotronic einst so langfingrig Gegen den Strich: „Talent borrows, genius steals.“

Keine Kommentare

Jens Wortmann