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„Niemand versucht, dir den Meerrettich wegzunehmen“

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Frühjahrslese

„Niemand versucht, dir den Meerrettich wegzunehmen“

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»Habibitus« von Hengameh Yaghoobifarah
von Lukas Prießnitz, erschienen am 04. Mai 2023

Alltagsrassismus, Sexismus, Rechter Terror, Queerfeindlichkeit, aber auch Modetrends wie den Vokuhila prägen die für viele Leser:innen meist provokanten taz-Kolumnen von Hengameh Yaghoobifarah. Die Texte von Yaghoobifarah legen den Finger in die Wunde, wie Gesa Husemann trefflich den Abend einleitet. Zwar sind die Kolumnen meist provokant, fraglos sind die Aussagen und Kritiken nachvollziehbar. Die Göttinger Frühjahrslese des Literarischen Zentrums und des Literaturherbstes neigt sich dem Ende. »Habibitus« von Hengameh Yaghoobifarah schließt am Kampftag der Arbeiter:innen die hochkarätige Lese zusammen mit Fatma Aydemir ab.

Mittlerweile erstrecken sich die Kolumnen in dem neuen Buch über mehrere Jahre hinweg und pflastern einen langen Weg der Karriere von Yaghoobifarah. Beim Durchgehen der geschriebenen Texte muss sich die bücher- und kolumnenschreibende Person auf den Text selbst konzentrieren, da ansonsten eine Spirale des Hinterfragens und Infragestellens beginnt – „Warum habe ich das so geschrieben, warum dieser Text, warum dieses Buch, warum dieser Beruf?“ erzählt Yaghoobifarah belustigt. „Ich zweifle schnell und viel“, fügt die:der Autor:in hinzu. Oftmals war es in Folge der Wiederholung einzelner Themen oder der lang zurückliegenden Zeit für Hengameh erschreckend, da sich bei vielen Themen noch immer nichts verändert oder verbessert hat.

Die Debatten und Inhalte der Kolumnen waren ein paarmal fernab der eigenen Nachrichten-Bubble, verrät Hengameh. Aufgrund dessen musste Hengameh sich zu Debatten äußern die eigentlich nicht interessant für die bücherschreibende Person sind – „Ich habe versucht nicht so ganz nach Mordor zu gehen“, erklärt Yaghoobifarah unter großen Lachen des Publikums lächelnd. Dennoch, illustriert Hengameh weiter, es müssten manche „sketchy-Situationen“ ausgehalten werden, falls aus dem Thema oder dem Moment eine Idee für die Kolumne oder den Roman werden könnte. Eine der unangenehmen Situationen erlebte Hengameh in Mannheim, welche natürlich einen Platz in einer Kolumne über „respectability“ bekam. Im Anschluss an eine Lesung wurde Yaghoobifarah von einer älteren Person auf eine schlechte Aussprache und ein verbesserungswürdiges Deutsch aufmerksam gemacht. Gewohnt schlagfertig amüsiert sich Hengameh unter einem belustigten Publikum über die Person – „fuck you wenn es Leute aus Baden-Württemberg sagen […] ich komme aus Norddeutschland, einer akzentfreien Gegend“. Sichtlich von den Ausführungen erheitert ergänzt Fatma Aydemir unter Zustimmung von Hengameh – „Es ist irgendwie schön innerlich wie so ein future Event geplant wird, sprich mal weiter, du spielst bald eine Rolle in einer Kolumne.“.

Eine wichtiger Aspekt der Texte ist ein anklagender Inhalt, sowohl der allgemeinen Gesellschaft, über Kommentare zu Rechten Gruppierungen und der Polizei – „Kritik an der Polizei muss zur Linken Identität gehören, insistiert Hengameh.“ -, als auch Kritik an TERF (Trans-Exclusionary Radical Feminism) oder Antisemitismus in der Linken-Szene gegenüber. Darüber hinaus kann der:die Autor:in auch humorvolle und selbstkritische Anekdoten die eigene Person betreffend gekonnt in die Texte einfließen lassen. Im Laufe der Zeit veränderte sich Hengameh und damit auch die Kolumnen. Zu Beginn dominiert ein „wir gegen die“, ein Ausspielen der beiden Seiten. Über die Jahre veränderte sich der Aspekt hin zu Kritik an der eigenen Szene, denn die zuvor auf der Gegenseite geglaubten Personen befinden sich ebenfalls in den eigenen Reihen oder in der eigenen Umgebung. Zudem kam zusätzlich Kritik an Antisemitismus durch Gespräche und Feedback hinzu, jedoch blieb die Gehässigkeit, räumt Hengameh selbstkritisch und selbstbewusst schmunzelnd – „because I am a Bitch!, denn wie oft willst du noch sagen Almans gewürzten ihr essen nicht…“ – ein. Ursächlich der vielen Anfeindungen aus den rechten Reihen oder den rechten Gruppen der Polizei möchte sich Hengameh nicht mehr auf jeden „Szene-Beef“ einlassen. „Ich habe literally mit militanten Nazis zu kämpfen, ich habe keine Lust mehr auf dieses Anti im Privaten.“

Es ist ein Abend wie bei Freund:innen zuhause. Yaghoobifarah und Aydemir gelang ein Abend voller Humor, aber auch der Anprangerung und des Anklagens. Zudem schafften die beiden ein Klima des Wohlfühlens. Das Gespräch zwischen Hengameh und Fatma war durchsetzt von deren privater freundschaftlicher und beruflicher Verbindung und schaffte auf diese Weise ein flüssiges und in sich stimmiges Gespräch. Es war im Grunde keine Lesung, sondern ein Treffen im Freundeskreis. Die vorgelesenen Auszüge aus den Kolumnen ordneten sich barrierefrei in die Unterhaltung ein, sie ließen das Gespräch nicht stoppen oder mussten umständlich eingeordnet werden, sondern schmiegen sich aneinander und waren Teil der Unterhaltung. Ein in sich stimmiger fluider Abend, der zwar leider nicht dem Abend und den beiden Personen entsprechend besucht wurde, jedoch von den anwesenden Zuhörer:innen als sehr humorvoll und wohltuend empfunden wurde und mit langem und tosendem Applaus gewürdigt wurde. Die Zusammensetzung aus Fatma Aydemir und Hengameh Yaghoobifarah war ein perfect match! Literally friedlich ging ein wunderbar harmonischer, anklagender nichtsdestotrotz humorvoller Abend zu Ende – „Holt euch die vegetarische Platte für Vier bei Asam und lasst mich in Ruhe!“

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Lukas Prießnitz

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