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GSO

Zwischen Wunder und Wolken

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Saisonabschluss des Göttinger Symphonieorchesters in der Aula am Wilhelmsplatz
von Bjørn Steinhoff, erschienen am 23. Juni 2023

Die Geschichte mit dem Wandeln Jesu übers Wasser…. schwierig zu glauben – bis gestern Abend. Und daran trägt Takanari Koyama Schuld.

Schwülwarm ist eine freundliche Untertreibung für das Wetter an diesem Donnerstag, an welchem das Göttinger Symphonieorchester (GSO) zum ersten der zwei Abschlusskonzerte der Saison 2022/23 in die Aula am Wilhelmsplatz geladen hat. Trotz der Witterung strömt das Publikum recht zahlreich; die wenigsten werden es bereut haben. „Bass virtuos“ – unter diesem Titel spielt der 1. Solobassist des GSO Takanari Koyama zusammen mit den Kollegen und Kolleginnen unter Leitung Nicholas Miltons das erste Kontrabasskonzert von Giovanni Bottesini, umrahmt von Werken von Vaughan Williams und Schubert/Berio.

Der erwachte Wunderglaube ist freilich der Zugabe des Solisten zu verdanken. Die letzte der berühmt-berüchtigten Capricci op. 1 für Violine solo von Niccolò Paganini auf dem Kontrabass!!! Wenn das geht (und es ging!), kann man auch übers Wasser laufen… Über so viel Virtuosität ist das gesamte Publikum bass erstaunt; die anwesenden Hobbybassisten erst recht.

Vor dieser unglaublichen Zugabe jedoch: Bottesini. Der italienische Komponist, Dirigent und Kontrabassist (1821-1889) spielte in der Entwicklung des Kontrabassspiels eine herausragende Rolle. Viele technische Neuerungen gehen auf ihn zurück, so dass eine Passage aus einem Bottesini-Werk zum Pflichtrepertoire einer jeden Aufnahmeprüfung, eines jeden Orchestervorspiels  gehört. Das an diesem Abend dargebotene erste Kontrabasskonzert wird deutlich seltener gespielt als das zweite. Etwas weniger virtuos als dieses (Betonung liegt auf etwas) erinnere ich mich allzu gut an mein Staunen als 12jähriger Bub (und Kontrabassanfänger) bei einem Konzertbesuch. So was Schweres kann man spielen? 

Nicholas Milton und das GSO lösen das größte „Problem“ bei Werken für Bass solo und Orchester famos. Das Instrument besitzt, trotz der einen Ton höher als normal üblich gestimmten Saiten, zwar einen satten, vollen, doch nicht besonders klaren, brillanten Klang – der Großteil der Energie wandert nun einmal in die tiefen Obertöne. Super für die Rolle als Orchester“fundament“, schwierig wenn der Bass solo eingesetzt wird. Feine Abstimmung ist nötig, damit das Orchester den Solisten nicht übertönt. Das rasante Finale des dreisätzigen Werkes beeindruckt mit wildesten Läufen über wirklich die gesamte Länge des Griffbretts, gepaart mit reichlichem Einsatz von natürlichem und künstlichem Flageolett; eine Technik, mit der ungeahnt hohe Töne aus dem eher fürs tiefe Brummen bekannten Instrument heraus gekitzelt werden können.

Die Götter droben im Himmel müssen gleichfalls Wohlgefallen an der Darbietung finden, denn Donner, Blitz, prasselnder Regen setzen erst so richtig in der Konzertpause ein, so dass die zarte und sanfte Belcantomelodie des langsamen zweiten Satzes nicht vom Unwetter verdeckt wird. Traumsicher gestaltet Takanari Koyama seinen Part, lässt die unzähligen Umspielungen der sehnsuchtsvollen Melodie akustisch so kinderleicht erscheinen, augenscheinlich dagegen müsste der gute Mann Griffbrettkilometergeld erhalten. Der trotzig-heroische Anfangssatz bildet zuvor einen gelungenen Auftakt.

Ralph Vaughan Williams »Fantasie on a Theme by Thomas Tallis« (entstanden/uraufgeführt 1910) eröffnet den Abend. Trotz der sehr eindringlichen, intensiven Interpretation wäre dem Dirigenten hier mehr Mut zu wünschen gewesen, nämlich die Orchesteraufstellung betreffend. Der Komponist unterteilt das reine Streichorchester (die Bläser dürfen sich noch an kühlen Getränken hinter der Bühne laben) in zwei kleine Orchester und ein Streichquartett - eine häufig eingesetzte Technik in der Musik der Renaissance, aus dieser Zeit stammt auch die von Tallis komponierte Melodie. Platz wäre in der Aula genug, eine kleine Umbaupause (mit launigen Bemerkungen des Dirigenten auch und gerade zum Aboerwerb versehen) vor dem Solokonzert ist eh nötig, warum nicht die drei Ensembles im Raum verteilen, statt lediglich die neun Musiker:innen des Orchesters II hinter das Orchester I zu setzen? Einziger Wermutstropfen eines ansonsten gelungen Abends. 

Nach der Pause lindert sich die drückende Wärme dank der Regenwolken ein wenig, doch die GSO‘ler haben noch einen Kraftakt vor sich: »Rendering« (1988/90) von Franz Schubert und Luciano Berio – das „und“ ist von entscheidender Bedeutung. Aus Schuberts Skizzen zu einer Zehnten Symphonie, entstanden in den letzten Wochen seines Lebens,  entwickelt der 2003 verstorbene Berio eine Rekonstruktion, die das Wechseln zwischen dem von Schubert geschriebenen Passagen und den selbst komponierten stets deutlich macht, unter anderem durch den Einsatz einer Celesta (eines glockenspielähnlichen Instruments mit Klaviatur).

Doch Vorsicht ist geboten, selbst die im Programmheft abgedruckte Einführung Berios zu seinem Werk führt aufs Glatteis: Natürlich findet sich viel Schubert in dieser Rekonstruktion, aber der Blick in die Partitur verrät die unzähligen (nötigen) Eingriff, um aus den Skizzen spielbare Orchestermusik zu machen. „Berio“ findet sich in „Schubert“, genau wie unzählige „Schubert“-Anspielungen sich in den „Berio“-Passagen finden. Auf diese Weise entsteht ein schillerndes, mehrdeutiges Tongewebe, dessen Wechsel und Einbrüche so herrlich überraschend das Publikum in seinen Bann ziehen.

Die schwungvolle, inspirierte Darbietung des GSO lassen einen umso mehr bedauern, dass Schubert seine Ideen nicht mehr ausführen konnte. Berios Restauration erinnert – das Geburtsland des Solisten erlaube die Assoziation – von ferne an das Kintsugi („Goldflicken“). Eine japanische Reparaturmethode für Keramik, welche die Bruchstellen nicht verdecken, sondern diese gerade hervorheben soll. Und sie bringt wirklich den Schatz dieser Skizzen so erst recht zum Strahlen!

Apropos Solist: Am folgenden Tage wird das Konzert ja noch einmal stattfinden, so begibt sich  Takanari Koyama nach seinem Einsatz auf den Heimweg; auf die mitgeteilte Bewunderung für die Leistung bei Solokonzert und insbesondere der Zugabe gibt er die spitzbübisch-verschmitzte Antwort „Viel üben!“. Mmh. Üben. Ist klar...

Eine zweite Aufführung von »Bass virtuos« fand am 23. Juni 2023 in der Aula am Wilhelmsplatz statt.

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Bjørn Steinhoff

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