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Göttinger Knabenchor

Schwere Kost, mit Leichtigkeit verfüttert

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Daniel Stickans »Luftmusik« überzeugt in der Pauluskirche
von Jan-Hendrik Buchholz, erschienen am 02. Juli 2023
Die Vorchöre des Göttinger Knabenchors unter der Leitung von Sebastian Kedziora | © Photo: Buchholz
Hätte man ein Messer, die Luft ließe sich förmlich schneiden rund um die Göttinger Pauluskirche in Wilhelm-Weber-Straße. Es ist Freitag, der 30. Juni 2023; es ist 16.30 Uhr – eine halbe Stunde bis Konzertbeginn; und die Anspannung, sie ist trotz der fröhlichen Gesichter und der herzlichen Begrüßungen deutlich zu spüren bei allen Beteiligten. Kein Wunder, sie wissen, was auf dem Spielplan steht: Daniel Stickans »Luftmusik«. Das könnte einem gleich aus mehreren Gründen den Atem stocken lassen.

Der 1980 in geborene Stickan hat sich mit seinem Zyklus über die Elemente in eine knallharte Konkurrenz begeben; nicht zuletzt die »Wassermusik« dürfte – gerade in Göttingen – fast zwangsläufig mit einem anderen Schöpfer assoziiert werden. Doch auch ohne den geliebten Sachsen: in Sachen Erde, Luft, Feuer und Wasser befindet sich der versierte Jazzmusiker, Organist und Pianist in illustrer und immer aktueller Gesellschaft; erst 2022 realisierte Helga Arias mit Studierenden des Fachs Musik und im Rahmen des Projektes »Lieder aus der Fremde« eine aufwändige, partizipative Klanginstallation. Stickan wählt einen anderen Zugang – kaum minder ungewöhnlich und keinesfalls unaufwändiger.

Im Gegenteil: Rund 90 Knabenkehlen sollen die „Kantate über die Stimme, die Stille und das Schweben“, so der Untertitel der »Luftmusik«, zum Klingen bringen, Und diese 90 Kehlen gehören, wie der Name schon sagt, zu rund 90 Knaben. Diesen Flohzirkus von quirligen Heranwachsenden geschlossen im Altarraum zu stellen und zum Stillstehen beziehungsweise -sitzen zu bewegen, ist das eine, sie zu einem harmonischen Klangkörper zu formen etwas gänzlich anderes. Dieses Verdienst gebührt natürlich in erster Linie dem Musikalischen Leiter Sebastian Kedziora; in seiner Hand laufen die Zügel der beteiligten Frühfördergruppen von fünf Schulen mit dem Göttinger Knabenchor und dessen Vorchören zusammen.

Damit nicht genug ist Stickans Komposition über weiteste Strecken keine leichte Kost, die sich entsprechend leicht vermitteln ließe. Sicher, passagenweise – wie etwa in „Es saß ein klein wild Vögelein“ – finden sich gar volksliedhafte Anklänge, doch sollte sich niemand vom anfänglichen Vogelgezwitscher nebst sphärischen Orgelakkorden, Glasharfe und Lesung der Schöpfungsgeschichte in einer trügerischen Idylle wiegen; schon im nächsten Moment werden gänzlich andere Töne angeschlagen: wenn Joachim Ringelnatz’ „Ich bin so knallvergnügt erwacht“ mit chorischen Glissandi und bodyperkussiven Einwürfen garniert oder wenn, gleich im Anschluss, Heinrich Heines „Wartet nur“, sein sprachliches Donnern und Blitzen durch rhythmisches Stampfen vorbereitet wird.

Moment! Genesis – Ringelnatz – Heine? In der Tat: Stickan schlägt einen weiten Bogen vom Einhauchen des Lebensodems bis zu Christi Himmelfahrt und darüber hinaus, verknüpft biblische Texte mit Werken von unter anderem Rainer Maria Rilke, Hilde Domin, Hermann Hesse sowie eigenen Beiträgen – eine weitere, „hausgemachte“ Herausforderung. Dass er ihr gerecht wird, dass aus dem Handlungs- kein Ariadnefaden wird, der erst aus einem rätselhaften Labyrinth führen müsste, sondern ein roter, an dem entlang man logisch und leichtfüßig geleitet, wird vom Anfang bis zum Ende (seinerseits letztlich wiederum Ursprung, der den vermeintlichen Zickzackkurs zu einer perfekte Kreisbahn glättet), ist nur ein Wunder dieses Abends.

Ein ungleich größeres ist die Präzision, mit der alle Beteiligten zu Werke gehen. Und die im gesprochenen beinahe noch mehr zum Tragen kommt also im gesungenen Wort. Alle Solisten meistern ihre anspruchsvolle Aufgabe mit Bravour und erstaunlich reifem Ausdruck. Exemplarisch dafür mag „Nun kommt der Sturm geflogen“ gelten, wo es gleich zwei Jungen zukommt, in perfektem Einklang den triolischen Takt anzuschlagen: Die Verzweiflung der Jünger an Bord des Schiffes, das ohne Hoffnung auf Rettung den wütenden Wellen ausgeliefert zu sein scheint, die existentielle, elementare Bedrohung und die daraus resultierende Todesangst werden in der stakkatohaften Atemlosigkeit des Vortrags buchstäblich (be)greifbar – auch weil währenddessen wortwörtlich Wind gemacht wird.

Die schwerste Aufgabe kommt mithin dem Publikum in der vollbesetzten Pauluskirche zu. Dieses ist zu Beginn der Veranstaltung gleich mehrfach darum gebeten worden, aufs Klatschen zwischen den einzelnen Stücken zu verzichten. Jedoch: Wie soll einem nicht automatisch „die Hand ausrutschen“, wenn die Darbietung dermaßen gelungen, ist? Endlich, nach circa einer Stunde kurzweilig-köstlicher Spielzeit, darf sich der tosende Applaus Bahn brechen. Er tut es wohlverdient, ebenso – das darf keineswegs vergessen werden – wie für die drei den Abend einleitenden, schnörkellosen Schmankerl des Göttinger Knabenchores unter Leitung von Michael Krause.

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Jens Wortmann

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