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St. Jacobi

Aus dem heiligen Evangelium nach Schubert

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Kantorei St. Jacobi/Göttinger Symphonie Orchester mit 3x Schubert
von Bjørn Steinhoff, erschienen am 06. Juli 2023

Kaum zu glauben, aber das Kirchenschiff ist voll. 10 oder 20 Besucherinnen hätten noch Platz gehabt, aber die  Kantorei St. Jacobi und das Göttinger Symphonie Orchester (GSO) spielen ihr Programm mit drei Werken Franz Schuberts vor ausverkauftem Haus. Warum „Kaum zu glauben“? Schönstes Sommerabendterassenwetter zum einen; zum anderen gibt die AOV ihr zweites Semesterkonzert an diesem Abend und die Stadtkantorei singt in St. Johannis den „Messiah“ – Terminkollision der beiden großen Kantoreien … „Ach Luise, lass… das ist ein zu weites Feld“. 

3x Schubert also: Die Ouvertüre e-Moll (D 648), die Messe in As-Dur (D 678) und die Symphonie h-Moll, die „Unvollendete“ hat Jacobikantor/Dirigent Stefan Kordes sich für diesen Sonntagabend ausgesucht. Eine eigenwillige, eine mutige Entscheidung seinerseits ist sogleich dem Programmheft zu entnehmen. Die Symphonie erklingt nach(!) dem Gloria der Messe; letztere wird mit dem Credo etc. dann vorgesetzt. Stefan Kordes ist im Hauptberuf Kirchenmusiker und wird sich sicher etwas dabei gedacht haben. Die Symphonie als erste und zweite Lesung, so wie von der Messordnung vorgesehen? Wenn ich an die wunderbar erhellende Moderation durch Stefan Kordes während der 8. Bachtage denke, wäre es sicherlich sehr aufschlussreich gewesen, dazu ein paar Worte von ihm zu hören (oder zu lesen).

Den gleichen Mut hätten man dem Dirigenten bei der Orchesteraufstellung gewünscht (erst recht eingedenk der famosen Aufstellung bei Bruckners 5. im Februar 2019)! Diese grauenerregende amerikanische Aufstellung sollte für die Musik des 18. und 19. Jahrhunderts schlicht verboten werden. Bitte bleibt bei der deutschen Aufstellung (I. Geigen links, neben sich Celli/Bässe, die II. Geigen rechts)! Sei‘s drum. Der Auftakt mit der Ouvertüre in e-Moll gelingt mitreißend und schwungvoll – die Musik nimmt deutlich Anleihen bei Rossini. Etwas gewollt wirkt der Abschluss in donnerndem Dur, nachdem die Stimmung zuvor eher dunkel-depressiv war, doch die Coda gibt dem GSO reichlich Gelegenheit zum Glänzen. 

Die Kantorei hat bereits zu Beginn des Konzertes ihre Position auf dem Chorpodest bezogen, für die folgende Messe nehmen nun die Vokalsolisten ihren Platz zwischen Orchester und Chor ein, wiederum eine gute Wahl. Henryk Böhm (Bass), Daniela Bianca Gierok (Alt), Tobias Hunger (Tenor) sowie Simone Schwark (Sopran) absolvieren ihren Part mit einer guten, soliden Leistung – das Publikum wird es ihnen später mit reichlich Applaus vergelten.

Besonders eindrucksvoll gelingen Chor und Orchester die „Quoniam tu solus sanctus“-Passage aus dem Gloria! Wie sich dieser gewaltige „Klangberg“ aus dem nichts des Pianissimo ganz, ganz, ganz langsam erhebt, immer weiter an Lautstärke zulegend – die ruhigen halben und ganzen Noten des Chores gegen die synkopische Figur der Streicher, unterlegt von den Liegetönen der Bläser – eine  weitere Steigerung scheint schwerlich möglich und doch legt die Musik noch einmal zu. Und noch einmal. Ein Gänsehautmoment selbst für den Leibhaftigen drunten in der Höllenhitze! Leider folgen dann noch mehr als 20 Partiturseiten mit der obligatorischen „Cum sancto spiritu“-Fuge, doch bei der Messvertonung ist der Tonsetzer halt nicht frei: Die Text“masse“ muss vertont werden. Ob diese Fuge zu Schuberts inspiriertester Musik gehört, sei dahingestellt, Chor/Orchester und Dirigent nehmen die Herausforderung an; und meistern sie am Ende, wenngleich die ansonsten sehr gute Textverständlichkeit hier und da ein wenig leidet, zudem die Balance zwischen Chor und Orchester in den übrigen Teilen der Messe weit mehr zu überzeugen vermag.

Statt der Fortsetzung der Messe folgt nun also die Symphonie. Oft gespielt, oft gehört. So kann selbst ein Meisterwerk die Wucht verlieren, den die erste Begegnung hinterlässt. Wie bei langjährigen Freundschaften jedoch (hoffentlich?) sich immer wieder neue Aspekte finden lassen, so verdient gerade Altbekanntes aufmerksam neu gehört zu werden: Das GSO und Stefan Kordes machen eben dies einem in diesem Konzert leicht. Die acht einleitenden Takte in tiefster Cello/Kontrabasstiefe sind kaum verklungen, da setzt das 16tel-Gewebe der Geigen derart kribbelnd unheimlich ein: Jede „Es“-Verfilmung ist ein Witz dagegen. Das „Allegro moderato“ nimmt der Dirigent wörtlich – die Musik nimmt Fahrt auf, aber mit zwei angezogenen Handbremsen. Sehr nachdrücklich steigert sich so die Spannung. Das berühmte zweite Thema, von den Celli intoniert, hebt derart zart an, man hat Angst die Melodie könnte zerspringen. Genial wie die Walzerbegleitung aus Viola/Klarinetten in gleicher(!) Lautstärke unter die Melodie gelegt wird; das Fragile der Kantilene wird so um so deutlicher. (In der Reprise strahlt die Cellolinie dann, bedingt durch die um fünf Töne nach oben gelegte Melodie, desto schöner.)

Den Einbruch, die Verdüsterung, das Quälende der Durchführung ist ebenfalls ein Glanzpunkt dieses Abends. Das GSO folgt der Lautstärkedisposition des Dirigenten genau, auch die lautesten Stellen entarten nicht in „Gebrüll“; die Sforzati werden peinlich genau befolgt, was in der Kirchenakustik (langer Nachhall) noch wichtiger ist als z.B. in der Aula am Wilhelmsplatz – die Musik bleibt deshalb auch im größten ‚Durcheinander‘ stets luzide. Der zweite Satz steht dieser sehr guten Interpretation in nichts nach; das „Andante con moto“  wählt Kordes so, dass für einen winzigen Augenblick die beiden Sätze das gleiche Tempo zu haben scheinen… 

Credo, Sanctus, Benedictus, Agnus – der Rest der Messe steht noch aus. Vielleicht ein (kleines) Manko des Konzerts? Anderthalb Stunden ohne Pause, im Kirchengestühl. Zudem: Die Sitznachbarn in der Bank liegen wirklich alle deutlich unter dem bundesdeutschen Durchschnitts-BMI-Wert, aber richtig viel Platz nach links und rechts ist nicht... Im Sanctus zeigen Solisten und Chor, wie vorzüglich die Wechsel zwischen den solo/tutti-Passagen gelingen können, die kurze Tempoirritation zwischen Dirigat/Solisten und Celli beseitigt das Einsetzen der Kontrabässe. Dass Schubert im Credo „et unam, sanctam, catholicam… ecclesiam“ einfach auslässt (Undenkbar zur damaligen Zeit. Eigentlich.) wird in ‚Kirchenaustrittszeiten wie diesen, kaum noch jemanden stören. Das Credo wimmelt vor zauberhaft gelungenen Stellen – aber genug, der Text wird sonst zu lang. 

Verdienter kräftiger Applaus für alle Beteiligten, besonders die Holzbläser des GSO werden völlig zu zurecht reichlich bedacht.

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Bjørn Steinhoff

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