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Brotmuseum Ebergötzen

Malerische Lebens- und Zeitspuren

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Sonderausstellung Ulrich Hollmann »Die Natur, der Mensch und das Brot – Bilder des Lebens«
von Tina Fibiger, erschienen am 17. Juli 2023
Tina Fibiger und Ulrich Hollmann | © Photo: Agnieszka Steuerwald

Im Brotmuseum Ebergötzen wurde die Werkschau des Malers Ulrich Hollmann eröffnet. Kulturbüro-Autorin Tina Fibiger hielt die Einführung, die Sie hier im Wortlaut lesen können.

Herzlich willkommen in der malerischen Welt von Ulrich Hollmann! 

Sie nimmt hier im Europäischen Brotmuseum einen besonderen Platz ein und das nicht nur, weil er seine malerischen Zutaten manchmal mit Motiven aus der Backstube verwebt. 

Im übertragenen Sinne könnte man natürlich sagen, er backt aus den Farben Ocker, Umbra, Siena und Weiß kunstvolle Brotlaibe auf der Leinwand, die er gern mit illustrem Beiwerk anrichtet. Und dass er so ein historisches Handwerk mit weiteren Zutaten veredelt und auf diese Weise eine historische Galerie, in der die Geschichte vom Korn zum Brot beheimatet ist, um einen weiteren Ausdruck von Lebenskultur bereichert. Das wäre Anlass genug, seinen – wie er sie nennt – Brotbildern – eine Ausstellung zu widmen, so wie sie der Künstler ursprünglich im Sinn hatte. Aber zum Glück für uns als Ausstellungsbesucher ließ sich Ulrich Hollmann zu einer Werkschau überreden; mit dieser Galerie von malerischen Lebens- und Zeitspuren, aus der auch seine Brotbilder hervorgegangen sind.

Ich möchte seine Galerie von Lebens- und Zeitspuren gern mit dem poetischen Bild eines serbischen Dichters verbinden, dass sich der Schöpfungsgeschichte widmet. „Und nach all dem Spielzeug die Form entsteht / die rückwärts geht“, heißt es in dieser „cosmologia profanata“, „ein wenig Gras, Rabe oder Elster / und der Schatten des Menschen / im Sternbild des Krebses“. 

Die Zutaten, die hier ein Dichter für seinem schöpferischen Kosmos verwebt, mögen für den Moment verwirrend anmuten. Aber für mich spiegelt sich darin das künstlerische Credo von Ulrich Hollmann, den ich in vielen Arbeiten als Sehforscher erlebe. In seinen Beobachtungen von Menschenalltag, in seiner Wahrnehmung von Landschaften und auch in seinen Brotbildern.  Er schöpft dabei aus einer unerschöpflichen Fülle von Momentaufnahmen, immer auf der Suche nach einer malerischen Essenz in der Bilderzählung. Wie dann aus all dem real existierenden Spielzeug die Form entsteht, die so lange rückwärts geht, bis daraus eine sprechende Farbgeste wird oder eine Berührung, die zur Imagination verführt. 

Wenn sie die drei Ausstellungsräume erkunden, können Sie sich natürlich an den drei zentralen Themen „Die Natur, der Mensch und das Brot“ chronologisch orientieren. Aber ich würde Ihnen empfehlen, den Blick erstmal wandern zu lassen und nach Motiven Ausschau zu halten, die Sie spontan ansprechen. Das mag die Wolkenlandschaft sein oder das Idyll, das die beiden Angler auf ihrem Boot gerade zu umgeben scheint. Vielleicht ist es auch dieser winterliche Acker bei Seeburg mit der blau eingefärbten Hügelkette und der Aussicht auf einen himmlisch weiten Horizont oder das malerische Schauspiel, das Ihnen Ulrich Hollmann an der Rhumequelle in faszinierenden Variationen entdeckt.

Bei einer früheren Ausstellung erzählte mir Ulrich Hollmann von Zufällen, aus denen sich eine Bildkomposition entwickeln konnte. Wenn ihn nach einer Reihe von Schnappschüssen mit der Fotokamera plötzlich ein scheinbar nebensächliches Detail ansprach. Wie er sich dann für den metallischen Glanz der Instrumente begeisterte oder eine dieser schlichten Szenen im Marktrubel mit der Rückenansicht einer Frau, die sich gerade über den Stand beugt. Das mochte der Faltenwurf eines Stoffes sei, die Spur eines Schattens, die flüchtige Geste. 

Ulrich Hollmann könnte im Grunde auch der sinnierende Beobachter sein, dem er eines seiner kleinen Marktbilder gewidmet hat, wie er Augenblicke sammelt, unzählige für andere vielleicht belanglose Momente, die dann auf der Leinwand oft nur schemenhaft Gestalt annehmen. Den Familien, Paaren und Passanten mutet Hollmann keine visuelle Ereignislandschaft zu, ebenso wenig wie der geselligen Tischrunde. Er lässt sie innehalten, damit wir sie wahrnehmen und vielleicht sogar in sie hineinhören, was sie gerade umtreibt und vielleicht auch uns bei ihrem Anblick. 

Von früheren Ausstellungen dürften auch Ihnen viele Arbeiten von Ulrich Hollmann vertraut sein. Und so ist diese Galerie im Brotmuseum auch ein willkommener Anlass das Gespräch mit seinen Bilderzählungen fortzusetzen und zu vertiefen, um erneut ins Staunen zu geraten. Wie er in seinen Menschenbildern die Nahaufnahme sucht, bei der sich manchmal die Konturen verabschieden und auch die Proportionen und die Sehverhältnisse sinnlich und nachdenklich inspirierend in Bewegung geraten. Und das auch unter dem Aspekt, dass ein Motiv in seinen möglichen An- und Einsichten immer wieder anders lesbar und erfahrbar wird. In der vertiefenden Verständigung mit der Farberzählung beim Sehen.

Eine Reihe von Naturbeobachtungen und Landschaftsstimmungen 

Hat der Künstler mit geografischen Hinweisen versehen. Aber selbst vertraute Orte wie die Rhumequelle, der Ohmberg und der Seeburger lassen an ein Naturschauspiel denken und an die unendlich vielen schöpferischen Impulse, die darin wirken, die selbst bei einem ausgiebigen Spaziergang so nicht erfahrbar werden. Was da in Getreidefeldern, Gräsern und Halmen, mit Wasserstimmen, Pflanzentönen und Baumstämmen noch alles schimmert. Wie sich von ferne in der dicht bewaldeten Uferlandschaft eine Lichtung öffnet und die dunkle Unterwasserwelt von der Sonne märchenhaft strahlend eingefärbt wird. Der Maler entdeckt uns ein faszinierendes Schauspiel mit den Holzstämmen, die in eine sanfte Flut geraten und in skulpturaler Anmut austreiben und auch mit den grünen Farbstimmen, die an der blauen Wasseroberfläche mäandern, auf der die Wolken einen beschwingenden Tanz bekunden.

Vielleicht lassen auch Sie sich überraschen vom Anblick einer vermeintlichen Blütenlandschaft, die ihnen aus der Distanz entgegen leuchtet und wie sie sich in unmittelbarer Nähe in eine winterliche Hügellandschaft mit Schneeflecken verwandelt. Auf dem benachbarten Motiv lässt Ulrich Hollmann den Ohmberg in seiner realen Frühjahrsblütenzeit wirken. In sanften Farben eingebettet, sind die Spuren von Geröll und tristem Gestrüpp wie weggeblendet, um im Winter etwas Aufblühendes zu behaupten, weil der Naturkreislauf sich schließlich genauso wenig still verhält wie die Sehnsucht nach wärmenden Farben und Formen in frostigen Zeiten, wie sie der Künstler hier imaginiert.

In der Weite einer kargen Landschaft, die von Nebelspuren getränkt ist, wirken die Menschen fast verloren und muten im Kontext der globalen Klimaverwerfungen wie Passanten an, die ein Naturschauspiel an sich vorüberziehen lassen, weil sie etwas anderes voranzutreiben scheint. Auch das Küstenpanorama mit der Spaziergängerin, die möglicherweise nicht die Wolkenlandschaft im Blick hat wie die Strandwandergruppe, sondern diese kleine Insel als Ort für sich, wirkt in diesem Naturschauspiel wie eine verlorene Gestalt. Aber vielleicht sind es auch die Dimensionen von Weite mit der Sehnsucht nach einem offenen Horizont, die ja in diesem Bild ebenfalls anklingen, während der Sehnsuchtsort Natur sich weiter erhitzt. 

„Selbst an der Staffelei“ scheint ziemlich grimmig zu blicken, so hochkonzentriert und auch ein bisschen angespannt. Lassen Sie sich nicht täuschen von Ulrich Hollmanns malerischem Blick in den Spiegel, weil er Ihnen viel zu gerne freundlich fragend anblinzelt… ob Sie bereit sind, in seinen Arbeiten auch ein bisschen zu irrlichtern und nicht gleich nach einer passenden Erklärung für ein Motiv zu fahnden. 

Bei seinen „Brotbildern“ scheint die Sache klar. Wohl geformte Laibe, manche mit einer verwegenen Kruste, andere stilvoll glatt aber alle ansehnlich appetitlich im Querformat angerichtet auf einem hell-dunkel kontrastierenden Hintergrund. Was ist so Besonderes an einem Brotlaib als malerisches Sujet könnte man sich fragen, fast als ob Ulrich Hollmann seine Brote deshalb auch mit malerischen Details visuell noch ein bisschen visuell appetitlicher angerichtet hat. Neben dem klassischen Frühstücksei gesellen sich ein paar Möhren und ein Apfel in die malerische Backstube. Teller und Messer liegen bereit, auch eine frisch geschnittene Scheibe Brot und Zutaten wie Pinsel und Farbtube, auf die ein Brotmaler natürlich nicht verzichten kann. 

So viele realistische Zutaten sind selten bei Ulrich Hollmann, der ja sonst aus einer Fülle von Momentaufnahmen, Stimmungen und Nuancen für seine Farberzählungen schöpft. In diesem Fall stiften die Tageszeitungen heiter bis nachdenkliche Unruhe und das nicht nur, weil sie trotz IPhone und IPad noch beim täglichen Frühstücksritual zum Einsatz kommen. Die Schlagzeilen sind es, mit denen Hollmann auch in einer Reihe von Bildtiteln jongliert. Man kann sich jetzt fragen, was Friedrich März noch richten soll, nachdem der Sauerteig verbacken wurde oder ob der Zug von Olaf Scholz erst nach dem Genuss einer soliden Butterstulle Fahrt aufgenommen hat. Mit Blick auf sein malerisches Backwerk spricht Ulrich Hollmann von einer poetischen Zündung, zu der ihn hier auch Max Ernst inspiriert habe. „Zwei völlig verschiedene Dinge in einem absolut fremden Umfeld zusammenbringen“, hatte der berühmte Maler bekundet, „ergibt die maximale poetische Zündung.“

Wo im zeitgenössischen Medienalltag ständig Texte und Bilder kollidieren, sich widersprechen oder sich auch wechselseitig ins Abseits manövrieren und der Spagat zwischen Fakten und Fakes mittlerweile an der Tagesordnung ist, setzt der Sehforscher Ulrich Hollmann hier auch sein pointiertes Zeichen mit der Frage; was sehen wir und was sehen wir alles nicht, wo trügt der visuelle Schein und wo der gesprochene oder der geschriebene…

Was seine Brotbilder nicht erzählen, sind die Geschichten, die in ihnen virulent sind. Erinnerungen wie sie Ulrich Hollmann mit ihnen verbindet, wenn er an die Kriegs- und Nachkriegshungerjahre denkt. Oder dass ein echter Sauerteig sich auch in einer schnelllebig funktionalen Zeit jeder Form der Beschleunigung verweigert. 

Das Backhandwerk lässt eben auch an ein künstlerisches Handwerk denken lässt, bei dem die Zutaten kreativ geformt und gestaltet, mit Geschmack und Aroma und mit ansprechender Wirkung versehen werden, und dass so ein Teig gelegentlich auch Überraschungen birgt, wenn mit den klassischen Zutaten experimentiert wird. Da sich mit den Händen kein Din-Norm-Genuss formen lässt, wie mit einer Maschine, kommt bei einem Brotmaler wie Ulrich Hollmann noch die schöpferische Fantasie ins Spiel. 

„Vertikal“ nennt er seine malerische Schöpfung, in der sich eine Grimasse abzuzeichnen scheint, vielleicht sogar der Ausdruck von etwas Gefräßigen aber vielleicht auch nur ein Gesicht, dass sich in seinem Minenspiel nicht an die klassische Verteilung von Mund, Nase und Augen hält und fast entspannt genießerisch anmutet. Und das alles, weil uns der Maler das Original, von dem man sich jetzt vielleicht eine Scheibe abschneiden möchte, in einem anderen Licht betrachten lässt.

Halten Sie Ausschau nach diesem anderen Licht und was sich Ihnen darin vielleicht erschießt, wenn Sie sich jetzt in die malerische Welt von Ulrich Hollmann begeben. Lassen Sie sich inspirieren von seinen malerischen Lebens- und Zeitspuren und von seinem schöpferischen Staunen, das sich in seinen Bildern des Lebens spiegelt.

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