Mit ihrem Stück »Der Traum von der glänzenden Zukunft« greift Autorin Carina Sophie Eberle reale Ängste und Sorgen junger Menschen auf. Regisseurin Lucia Reichard nimmt in ihrer Inszenierung am Deutschen Theater empathisch diese Ängste und Sorgen auf und sorgt so für eine Perspektive. So hat es Kulturbüro-Autorin Antonia Fiege gesehen, die die Premiere im dt.2 besucht hat.
Eigentlich wollte Nemuärt ihr entkommen, der Angst. Dafür ändert sie ihren Namen, heißt von nun an Träumen rückwärts buchstabiert, und zieht mit ihren Eltern und ihrer kleinen Schwester um. Die Angst kennt zwar weder Namen noch Adresse, trotzdem schleicht sie sich an. Nachrichten über Klimakatastrophen, Waldbrände und Überschwemmungen locken sie an. Das Versprechen von existenzieller Gefahr, die alle Menschen gleichsam betrifft. Daraufhin steht sie höchstpersönlich da, Nemuärts Angst, gespielt von Gabriel von Berlepsch.
Mit der Angst als Person schafft die Dramaturgie einen beeindruckenden Übergang von einer anfangs unheimlichen, bedrohlichen Entität zu einem umgänglichen und auch sentimentalen Partner. Diese nimmt Nemuärt nämlich mit auf eine Reise, die ihr helfen soll, ihre Furcht nicht nur kennenzulernen, sondern diese auch genau zu verstehen.
Besondere Aufmerksamkeit gebührt dabei der Schauspielerin der Figur Nemuärt Marina Lara Poltmann. Diese transportiert die inspirierende Entwicklung eines angsterfüllten jungen Mädchens zu einer Optimistin, die bereit ist zu handeln. Ihr Bezugspunkt ist dabei immer die Zukunft, welche sie mit nervöser Begeisterung erwartet. Als stattdessen aber die Angst sie heimsucht, schlägt jene fragile Hoffnung um in blanke Furcht, welche akustisch durch schrille Schreie sowie stürmische Gestik einprägsam zum Ausdruck gebracht werden konnte. Sobald Nemuärt dann versteht, dass die Angst mehr Motor als Hindernis für sie ist, kann sie sich der Zukunft tatsächlich produktiv zuwenden. Dabei ist es die mimische Intensität der Schauspielerin, mit der jene differierenden Emotionen von Verzweiflung und Hoffnung dargestellt werden, die die Entwicklung der Figur eindrucksfähig unterstreicht.
Das Bühnenbild von Bettina Weller scheint zunächst schlicht. Viele Schachteln und Kartons, die sich aber schnell als interaktives Allzweckmittel erweisen. Nicht nur beherbergen sie allerhand Requisiten, die für das Spiel genutzt werden, sie machen auch die dynamische Veränderung und Anpassung der Bühne möglich. Während die Kartons in der einen Szene also noch Ausdruck von Umzugschaos waren, werden sie in der anderen genutzt, um Figuren und Gebäude der Traumwelt darzustellen. Die Konfrontation mit der Angst wird zudem von der Bühnentechnik besonders aufgegriffen. Mit Projektionen von Bränden und anderen Katastrophen wird diese in die reale und bildhafte Wirklichkeit geholt, und den Zuschauer:innen noch einmal besonders deutlich vor Augen geführt.
Carina Sophie Eberle greift mit ihrem Stück die sehr realen Ängste und Sorgen junger Menschen auf. Von der Erderwärmung über mechanische Fabrikdisziplin bis hin zu unerfüllbaren Leistungserwartungen der Familie werden verschiedene Szenarien des Schreckens durchgespielt. Der Zweck hierbei ist klar: Unmittelbare Konfrontation mit der eigenen Angst. Das Stück nimmt sich das Publikum und darüber hinaus die Menschheit als Kollektiv zum Adressatenkreis, um darauf aufmerksam zu machen, dass jeder von Ängsten geplagt wird, denen er sich bewusst werden sollte. Die Konsequenzen wären andernfalls fatal. Das „Resort of broken Dreams“, welchem Nemuärt und die Angst einen Besuch abstatten, beherbergt die verlorenen Träume und erschütterten Hoffnungen der Menschen. Hier befinden sich auch die aufgegebenen Ziele der Eltern Nemuärts. Dabei waren diese besonders ambitioniert: Eine bessere Welt für die kommende Generation. Anstelle energetischer Leidenschaft tritt allerdings unüberwindbare Ohnmacht und Trägheit. Die Warnung ist hierbei eindeutig sowie dringlich: Werdet aktiv, habt keine Angst vor eurer Angst!