Ein trister Raum in grau und braun, spärlich eingerichtet, karg wie Bernhards Leben. Er beseitigt noch die letzten Staubkörnchen, klärt die letzte Angelegenheit – Schadensersatz aufgrund seines bereits missglückten Suizids –, kündigt Strom und Versicherungen und schickt sich an, alles picobello hinterlassend aus dem Fenster des vierten Stocks zu springen. Plötzlich klopft es an der Tür und Bernhard, korrekt wie er ist, klettert wieder aus dem Fenster und öffnet die Tür. Ein Mann hält ihm eine Pistole vor die Brust, und mit der Pistole auf ihn gerichtet ist Bernhard mit dem Tod doch nicht mehr so einverstanden. Der eine wollte sich umbringen, der andere wollte wen anderes umbringen, und beide stehen sie da und können es nicht. Es entsteht eine streitähnliche Diskussion über Unzulänglichkeiten, das Leben und gar tief gehende philosophische Fragen, humorvoll verpackt in Doppeldeutigkeiten und überraschende Wendungen. Und mit vielen gegenseitigen Neckereien entwickelt sich gar eine persönliche Nähe zwischen Bernhard und seinem ihn bedrohenden Besucher, sodass beide dem endlichen Leben sogar gewollt mit Humor begegnen, um die Sache mit dem Tod zu vereinfachen. Gerd Zinck und Ronny Thalmeyer setzen die Komödie von Matthieu Delaporte gekonnt auf der dt.x-Bühne um und bringen die Zuhörer:innen in familiärer Atmosphäre mit viel Sprachwitz zu einem herzhaften Lacher nach dem anderen.
Erfreut dürfte das Göttinger Auditorium auch über die besondere Göttinger Note gewesen sein, die Regie (Erich Sidler) und Dramaturgie (Sarah Charlotte Becker) mit Verweis auf die hiesige kulturelle Szene angedeutet haben, wenngleich sie dem Stück zueigen sind. Bernhards Leidenschaft für Chansons lässt ihn Schallplatte mit einem Chanson von Dalida und »La solitude« von Barbara auflegen. Gerd Zinck singt die Chansons teils kräftig mit, teils summt er sie schwärmerisch.
Nachdem Bernhard weiß, dass sein Besuch der Tod höchstpersönlich ist, verlagert sich der Schwerpunkt von der Komik auf den Tod als Lebensthema, ernst und grotesk zugleich, tritt doch der Tod nicht als Sensemann auf, sondern als unsichere Persönlichkeit im Rollkragenpullover mit Schnauzbart, die nicht zu töten in der Lage ist. So wird der Tod gar zum liebevollen und einfühlsamen Zuhörer, zum Freund, den Bernhard nie gehabt hat.
Mit dem Auftritt von Gaby Dey als Nachbarin Clara wird es noch einmal nachdenklicher. Sie und Bernhard hatten an diesem Tag den Freitod gewählt - und noch nicht vollzogen. Nun treffen sie aufeinander und die völlig entspannt wirkende Clara erzählt seelenruhig von ihrem Leben, während Bernhard zuhört. Er verehrt sie heimlich, was er dem Tod schon gestand, will sie eigentlich vor dem Freitod retten und sie kommen sich näher, doch der komische Tod ist auch immer noch da…
82 Minuten lang geht es nicht nur um den Tod, um Sein oder Nichtsein und diese doch existenzielle Frage in brillanter Komik darzustellen, sondern darüber hinaus um gehaltvolle Gedanken um die Frage, was das Sein individuell wertvoll macht.
Diese intelligente Komödie wurde von Erich Sidler sehr sensibel und fein gezeichnet umgesetzt. Eine Komödie ohne Klamauk, sondern mit einer gelungenen Melange aus Unterhaltung und Ernst, gepaart mit einer schauspielerischen Bestleistung
Die Komödie von Matthieu Delaporte »Einszweiundzwanzig vor dem Ende« hatte am 21. Januar 2024 Premiere im dt.x Keller des Deutschen Theaters Göttingen. Weitere Aufführungen stehen am 26. Januar sowie am 1. und 15. Februar auf dem Spielplan.
Zu dieser Produktion gibt es auch eine Folge unseres Theater-Podcasts »Szenenwechsel«. Tina Fibiger unterhält sich mit Erich Sidler über seine Inszenierung. Sie können ihn hier Anhören.
Wenn Sie selbst depressiv sind, wenn sie Suizid-Gedanken haben, dann kontaktieren Sie bitte die Telefonseelsorge im Internet oder über die kostenlose Hotlines 0800/111 0 111 oder 0800/111 0 222 Die Notfallnummern für Südniedersachsen finden Sie hier: https://gesundheitsregiongoettingen.de/buendnis-gegen-depression/ Die Stiftung Deutsche Depressionshilfe bietet das Infotelefon Depression an sowie ein Onlineforum. |