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Sanftes Miteinander, kontroverses Thema

Information
„Toxische Weiblichkeit und Feminismus“ mit Sophia Fritz und Stefanie Lohaus
von Larissa Stöpler, erschienen am 10. April 2024

„Wo müsste sich erst die Gesellschaft verändern, damit du die richtigen Bedingungen hast, dich selbst zu verändern?“ (Fritz 2024, S. 180) Unter Feminismus versteht wohl jede:r etwas eigenes. Man könnte die Verkürzung wagen, im Feminismus zentral eine Kritikbewegung zu identifizieren, die sich den bestehenden systemischen Machtstrukturen und Benachteiligungsmustern annimmt, um schließlich für eine gleichberechtigte, diverse Gesellschaft kämpfen zu können. Wie die Lesung und Diskussion von Sophia Fritz und Stefanie Lohaus Werken anregt, ist gerade die Dimension der Kritik im Feminismus unbedingt auch reflexiv zu verstehen.

In ihrem Buch „Toxische Weiblichkeit“ (erschienen im HANSER-Verlag) filetiert Fritz den vielleicht zuerst polemisch klingenden Komplex der toxisch weiblichen Anteile. Anders als toxische Männlichkeit, die als Sozialisationsanteil in Männern patriarchales und gewaltvolles Verhalten vorantreibt, die in all ihrer Schadhaftigkeit (für alle Geschlechter!) systemisch gefördert wird und durchaus gesellschaftliche Vorteile im Kampf um Macht und Anerkennung haben kann, identifiziert Fritz toxische Weiblichkeit eher als Antwort darauf. Toxische Weiblichkeit sei eine ebenso schadhafte Sozialisationsfacette, die ihr Gewaltpotenzial primär introspektiv, aber auch in Form emotionaler Gewalt entfalte. Anders als toxische Männlichkeit trage sie aber zum patriarchalen Machterhalt der männlichen Hegemonie bei, statt ihre eigenen Trägerinnen tatsächlich zu begünstigen.

Vielschichtig erläutert Fritz an Beispielen der Mutti, der Bitch und der Powerfrau (ingsgesamt sind es fünf Prototypen), wie durch misogynes, selbstentwertendes oder entgrenztes Verhalten Frauen sich selbst und andere Leidensgenossinnen entwerten, klein halten und als Bittstellerinnen im patriarchalen System positionieren. Einfühlsam, persönlich und gut nachvollziehbar auch für themenfremdere Leser:innen erklärt sie viele Phänomene und Verhaltensweisen, die sie als toxisch weiblich klassifiziert. Ziel des Buches scheint eine Reflexionshilfe für Frauen zu sein, diese Anteile in ihrem Fühlen, Denken und Verhalten zu erkennen, um im Rahmen feministischer Selbstkritik sich im Sinne des Empowerments aus diesen Strukturen zu lösen.

Das pikante an Fritz Ansatz ist, dass der Begriff „toxisch“ mindestens popkulturell sehr aufgeladen ist und es im feministischen Geltungskampf möglicherweise prekäre Folgen haben kann, das Hauptaugenmerk in diesem Kontext auf Frauen zu richten. Ob also der Begriff dem feministischen Kampf schadet oder nicht, wurde mit Stephanie Lohaus diskutiert. Lohaus erarbeitet in ihrem Buch „ Stärker als Wut“ unter Anderem die Fragen „ Woher kommt, wohin geht der Feminismus? Was ist erreicht und was muss weiter erstritten werden?“ Dieses Buch bietet also einen vielseitigen Überblick über die Entwicklungen des Feminismus aus deutscher Perspektive. In einer Mischung aus persönlich, biographischem Erzählen und der Aufgliederung vergangener und aktueller feministischer Diskurse wird die Vielfalt mit der Feminismus gestaltet wurde, deutlich.

So wird auch Lohaus Differenzierung in verschiedene Feminismen, weg von dem Konzept des einen Feminismus nachvollziehbar. Einen wichtigen Beitrag in den Identitätswirrungen der aktuellen Feminismuswelle liefert Lohaus zu der zentralen Spaltung in Differenz- und Gleichheitsfeminismus. Das Potenzial eines Austauschs dieser beiden feministischen Autorinnen liegt gewiss in ihrem Mut zur Selbst- bzw. Feminismuskritik. Für einen guten Diskurs braucht es plurale Meinungen, und sowohl Lohaus als auch Fritz bringen sicher unterbaute Positionen ins Gespräch, getrieben vom Leitgedanken, dass in aller Differenz und Fehlbarkeit schließlich das gemeinsame Ziel der Gleichberechtigung einen solle. Dabei müsse Raum bleiben für einen divers geführten Konflikt in feministischen Reihen und die klare Trennschärfe, Selbstkritik nicht mit einem Verwässern der Kritiklinien an äußeren Makern der Geschlechterhierarchien zu verwechseln.

Die Lesung gestaltete sich als sanftes Miteinander, eher unaufgeregt und leicht. Spannenderweise ergänzen sich die Werke von Fritz und Lohaus auf eine anregende Art und Weise. Durch pointierte Zusammenfassungen zentraler Themen der feministischen Entwicklungen seit der zweiten Welle des Feminismus in den 1960ern und Kernthesen zu toxischer Weiblichkeit extrahierten die Autorinnen offene Fragen als Impulse für eine Neuorientierung des aktuellen Feminismus. Wie kann eine emotional gesättigte Mutterschaft gesamtgesellschaftlich garantiert werden? Wie muss man Sexarbeit neu denken, wenn man sich von der aktuellen Praxis radikal loslöst? Wen kann und will Feminismus erreichen? Wie wird man toxische Weiblichkeit tatsächlich los? Braucht es eine feministische Erinnerungskultur? Ist der feministische Diskurs gerade in einer Umbruchphase?

„Toxische Weiblichkeit“ von Sophia Fritz und „Stärker als Wut“ von Stephanie Lohaus sind ein wunderbares Duo, um tagesaktuell in den Feminismus einzusteigen und sowohl Impulse für das eigene Reflektieren und Handeln zu erhalten, als auch rein faktisch informiert zu werden.

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