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„Spürst du die Vibration des Monokromen?“

Information
»Kunst« von Yasmina Reza | Premiere am Jungen Theater
von Keanu Demuth, erschienen am 15. April 2024
Götz Lautenbach, Jens Tramsen, Jan Reinartz
© Dorothea Heise

Es fliegen ordentlich die Fetzen im Jungen Theater: Ein teures, kontroverses Gemälde mit weißen Linien auf weißem Hintergrund strapaziert gehörig die Freundschaft dreier Männer. Darum geht es in der Komödie »Kunst« von Yasmina Reza, die am 11.04. ihre Premiere im JT feierte. Inszeniert wird das Stück von Thomas Bockelmann. Der erfahrene Regisseur weiß, wie er glaubhafte zwischenmenschliche Beziehungen und Spannungen darstellt. Obwohl der Titel »Kunst« lautet, geht es hier nicht um eine Kunstdebatte oder um die Frage, was Kunst eigentlich ist. Das umstrittene Kunstwerk dient lediglich als Katalysator für einen feurigen Streit zwischen drei Männern, deren Freundschaft arg in die Jahre gekommen ist.

Serge (Götz Lautenbach) hat sich für eine stolze Summe ein Gemälde gekauft, auf welchem man lediglich eine weiße Fläche sieht. Sein Freund Marc (Jan Reinartz) kann einfach nicht glauben, dass er für „diese Scheiße“ 200.000 Euro rausgeschleudert hat. Yvan (Jens Tramsen), der Dritte im Bunde, hält ebenfalls nichts vom Bild, versucht aber den Streit zwischen seinen beiden Freunden zu schlichten, bis plötzlich alles aus dem Ruder läuft.

Die Dynamik zwischen allen drei Schauspieler ist stimmig, und auch der Humor kommt gewiss nicht zu kurz. Allein schon bei der Anfangsszene folgt ein deftiger Witz auf den anderen, sodass sich die Zuschauer schon zu Beginn kaum einkriegen können. Lautenbach als Serge präsentiert mit einem breiten, aufgesetzt wirkendem Grinsen seinen neusten Besitz gegenüber Marc, der sehr impulsiv und hitzköpfig von Jan Reinartz verkörpert wird.

„Du stehst noch nicht richtig. Siehst du die Linien?“, fragt Serge aufgeregt. Bei diesem bizarren Anblick, eine eintönige weiße Fläche, muss man einfach nur den Kopf schütteln und anfangen zu lachen. Die Situationskomik im Stück ist einfach richtig stimmig. „Du hast nicht 200.000 für diese Scheiße ausgegeben?“ erwidert Marc daraufhin fassungslos und beginnt, ganz laut loszulachen. Reinartz spielt wahrscheinlich die Figur, mit welcher man sich am meisten identifizieren kann. Er sagt sozusagen das, was man als Zuschauer selbst denkt. „Aber es ist eine Scheiße,“ krümmt sich Marc vor Lachen. Natürlich muss man Marc Recht geben, dennoch hätte er seine Meinung auch auf eine verständnisvollere Art sagen können. Marc will sich trotzdem nicht nur um Serge lustig machen. Im Gegenteil. Er ist sehr um seinen Freund besorgt: Serge ist zwar wohlhabend, aber hat er wirklich so viel, um sich dieses Bild zu leisten, denkt er sich besorgt. All dies erzählt er Yvan, wieder fantastisch gespielt vom „Tatortreiniger“ Jens Tramsen. Tramsens Yvan ist der Versöhner oder Schiedsrichter zwischen beiden Freunden, da er nur die Zeit mit den beiden genießen will. Und das kauft man ihm ab. Trotzdem gerät er in das Kreuzfeuer zwischen den Streitenden. Die Stärken des Stücks sind neben dem Humor vor allem die realistische Spielweise der drei Akteure. Keiner der drei Freunde wirkt völlig unsympathisch oder wie ein Strahlemann. Die Darsteller stellen glaubwürdige Typen dar mit Stärken und vor allem Schwächen, keine Karikaturen oder Stereotypen. Wir kennen das alle schließlich selbst: In manchen Situationen können wir einfach nicht anders, als hämisch zu lachen, auch wenn wir das eigentlich nicht vorhatten und den anderen nicht verletzen wollten.

Auch wenn sie es gut mit ihrem Freund meinen, müssen sich Marc und Yvan zunächst an den Kopf fassen und wegen des skurrilen Kaufs Tränen lachen. Als Yvan seinen Freund Serge besucht, versucht er dennoch, dem Bild etwas abzugewinnen. „Spürst du die Vibration des Monokromen?“ Die Art und Weise, wie Götz Lautenbach aka Serge versucht, seinen Freunden und dem Zuschauer das Bild interessant und schmackhaft zu machen, ist einfach urkomisch. Ein weiteres effektvolles Stilmittel ist der Gebrauch der Scheinwerfer, die die Gedankenwelt der Männer darstellt. Um nicht unhöflich zu erscheinen, sagt Serge zu Marc, dass er nicht genervt von ihm sei. Auf einmal fällt das Scheinwerferlicht nur auf Serge, und der sagt wütend: „Er geht mir voll auf die Nerven!“ Dieser Kontrast zwischen dem Gesagten und den Gedanken macht das Stück ebenfalls nochmal um eine Ecke komischer, grotesker – und letztlich glaubwürdiger.

In den darauffolgenden Tagen treffen sich alle im Kino. Um eine Stunde zu spät kommt endlich Yvan und erzählt seinen Freunden den Grund seines Zuspätkommens. In dieser Szene brilliert Tramsen, als er hysterisch und kauzig erzählt, wie ihn seine Verlobte, seine Mutter und seine Stiefmutter bei der Hochzeit zusetzen. Er will nur einen ruhigen Abend mit seinen Freunden haben, aber leider läuft das Fass über. Schon wieder wird das überteuerte Gemälde zum Gesprächsthema. Serge regt sich über die Taktlosigkeit von Marc auf, während dieser immer noch entsetzt ist, wie man für so ein Bild so viel Geld verschwenden kann. Es folgt ein feuriges Wortgefecht, bei welchem die Darsteller sich wirklich von ihrer besten Seite zeigen. Schließlich geht Serge etwas zu weit und zieht sogar über Marcs Frau Paula her. Das lässt Marc einfach nicht auf sich sitzen, und es kommt zum heftigen Schlagabtausch, bei welchem Yvan versehentlich verletzt wird. Diese mal heftigen, mal lustigen Streitereien sind die Highlights des Stücks. Das Drama ist aber noch nicht vorbei, und plötzlich regen sich Serge und Marc gemeinsam darüber auf, wie Yvan immer den neutralen Schiedsrichter spielt: „Ihr wisst, dass ich weinen kann.“ Bei Yvans lustig-trauriger Reaktion viel so mancher Zuschauer vor Lachen schier vom Sitz. Und das alles wegen eines Gemäldes...

Ob die drei Freunde den Konflikt beilegen, können Sie ab sofort selbst im Jungen Theater erleben.Turbulente Wortgefechte, deftiger Humor und glaubwürdige Figuren: Das sind die großen Stärken in Thomas Bockelmanns Inszenierung. Bei all dem derben Humor fragt man sich dennoch, wie taktvoll man selbst sein sollte, um einem Freund die Augen zu öffnen. Auch wenn die Dialoge sehr lustig und echt wirken, muten sie zum Ende hin leider etwas langgezogen an. Dennoch ändert dies nichts an der Tatsache, dass in »Kunst« fast alle Witze sitzen und man gut mit den Darstellern mitfühlen, mitschreien und mitfiebern kann.

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Keanu Demuth

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