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Junges Theater

Wenn in der Kampfzone Familie die Poltergeister wüten

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Uraufführung »Na, wenigstens betrachten wir denselben Mond«
von Tina Fibiger, erschienen am 25. September 2023
Thyra Uhde | © Photo: Dorothea Heise)

Ein Kräftemessen, das mit einer Ohrfeige beginnt, lässt nichts Gutes ahnen und bestimmt kein Gespräch, in dem Argumente ausgehandelt werden. So wie Jenny ihre Tochter Maya wortgewaltig drangsaliert, ist nicht davon auszugehen, dass die sich von ihrem Plan abbringen lässt, für die Ukraine in den Krieg zu ziehen. Vater Raffael kann wenig ausrichten mit seinen Beschwichtigungsversuchen. Nur Leo, die non-binäre Lebensgefährtin Mayas, kann die lautstarken Wut- und Angstattacken gelegentlich ausbremsen. „Na, wenigstens betrachten wir denselben Mond“ hat Oliver Bukowski sein tragikomisches Schauspiel genannt und im Untertitel mit einer auch ironisch gemeinten Triggerwarnung versehen. Gewaltdarstellungen, Alkohol- und Drogenkonsum, Schimpfwörter und sexuelle Inhalte kommen in der Uraufführung zur Sprache, die Nico Dietrich und Christian Vilmar am Jungen Theater inszeniert haben: Allerdings weniger ironisch, provokant oder gar polemisch, sondern vor allem laut und mit viel Gebrüll.

Sich für das Klima auf die Straße kleben, geht ja noch. Aber beim politischen Protest mit Waffengewalt und soldatischer Kampfausrüstung – da hört das solidarische Verständnis auf. Als mütterlicher Poltergeist stürmt Agnes Giese auf die Bühne wie auf eine Kampfzone, in der alle Mittel recht sind, jeden und jede auf möglichst schmerzhafte Weise zu verletzen, um dann ab und an einfach in Tränen auszubrechen. Was sich mehr und mehr an Bosheiten und zynischen Aussetzern zusammenbraut, über eine ach so verständnisvoll eingebettete verwöhnte Prinzessen oder über eine Generation, die sich ihr gesellschaftspolitisches Weltbild mit Intragram, Netflix und spektakulären Dokus abruft, scheint an der jungen Frau abzuprallen, wie sie Thyra Uhde demonstriert. 

Die wird ihre Entscheidung auch weiterhin selbstbewusst und couragiert behaupten und sich darin von einer wachsamen Leo bestärkt fühlen.

Dorothea Röger lässt sie wie in Lauerstellung abwarten und wird die mütterliche Kampfansage gelegentlich in Zweifel ziehen, nachfragen und nachhaken. Was es zum Beispiel auf sich hat mit den Feindbildern, die Jennys DDR-Biografie prägten. 

Jan Reinartz hat den Part des väterlichen Appeasement-Spezialisten, der gerne aus seiner akademischen Bildung und den 68er-Expertisen zu Kriegs- und Krisenszenarien schöpft und sich in dieser Familien- und auch Ehekampfzone auch nach verbalen Tiefschlägen nicht so leicht auf die Bretter schicken lässt. 

Bukowskis Szenario lässt keine Falle aus, die den Parteilichkeiten droht, die im gegenwärtigen politischen Diskurs mit Meinungen, Ansichten und Behauptungen kollidieren. Und sei es mit reichlich Empörung über Waffenlieferungen und Geflüchteten-Kontingente, über die gestritten und polemisiert wird, bis wieder ein Schlagabtausch über zu viel an Sozialleistungen fällig ist oder über populistische Rechtsausleger und wie sie die mediale Nachrichten- und Meinungsmelange fluten. 

Die Frage, wo, in welcher Form und mit welchen Konsequenzen politisches Engagement fällig und mitunter schon lange überfällig ist, durchdringt dann auch die vermeintlich komödiantische Familien-Kampfzone, nur dass die im lautstarken rhetorischen Gepolter immer wieder verkümmert. Stattdessen werden riesige Kissen zu Sandsäcken deklariert, an denen Kriegs- und Kampfcourage trainiert wird und die blutige Nase offenbar mehr weh tut als der Gedanke, welche mörderischen Zumutungen ein Kriegsalltag herausfordert und fordert. Umso kreativer kontert dann der mütterliche Poltergeist in der OP-Schwester Jenny, die jetzt mit dem Diaprojektor auf die Wirkung von blutigen Gemetzeln und ihren Folgen spekuliert. 

Dass Thyra und Leo sich auf ein Ukraine Engagement als Sanitäterinnen verständigen, scheint das wütend verzweifelte Muttertier offenbar zu stimulieren, die Beiden jetzt auch lächerlich zu machen. Wie sie jetzt vergeblich versuchen, einen scheinbar schweren Körper in eine stabile Seitenlage zu wuchten. Dafür gibt auch diese Szene Anlass für Gelächter im Publikum, clownesk überzeichnet und mit viel Gepolter wie ein Großteil der Wortgefechte, die sich dann so garstig und verletzend zuspitzen. 

Bukowskis Szenario hinterlässt keine Spur einer psychologischen Anamnese, was an dem Mutter-Tochter-Verhältnis vielleicht nicht stimmen könnte, dass es so boshaft wütend ausufert. Da forschen auch Nico Dietrich und Christian Vilmar nicht weiter, während auf der Bühne verbale Schaukämpfe ausgetragen werden und das meist akustisch übersteuert. Dabei kommen selbst auf der komödiantisch zugespitzten Ebene genügend Argumente zu Sprache, die das politische Engagement nicht nur in Kriegs- und Krisenzeiten anmahnen und auch zwischen den Generationen verhandelbar sind, wenn endlich mal Klartext über gemeinsame und individuelle Verantwortlichkeiten geredet wird. 

Mit einem langanhaltenden Schrei macht Thyra Uhde dem dramatischen Getöse ein Ende, so dass es schließlich doch noch zu einer Verständigung über Handlungsspielräume und sogar über moralische Herausforderungen und Verpflichtungen kommt. Der Abend nimmt eine überraschende Wendung, die nicht nur nachdenklich macht, sondern auch mit dem Spektakel um akute und aktuelle Kampfzonen versöhnt.

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Tina Fibiger

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